"Set-Top-Box"/ PREMIERE/ Digitales Fernsehen(337)
Momentan sieht es ganz danach aus, als ob der lange Streit um das digitale Fernsehen zwischen BERTELSMANN und KIRCH beigelegt wäre. Nachdem die KIRCH-Gruppe den australischen Medienunternehmer MURDOCH nach dessen äußerst kurzer Allianz mit BERTELSMANN für sich gewinnen konnte, BERTELSMANN im Geschäftsjahr 1995/96 erstmals seit dem Amtsantritt des Vorstandsvorsitzenden Mark Wössner im Jahr 1983 keinen Gewinnzuwachs verzeichnen konnte und in der Folge auf Sparkurs ging(338), scheint KIRCH sich sowohl beim Decoder-Streit als auch bei den internen Querelen um den gemeinsamen Pay-TV-Sender PREMIERE durchsetzen zu können. Dazu haben neben der momentanen Schwäche von BERTELSMANN sicher auch der bereits erfolgte Start von KIRCHs Digitalfernsehen DF 1(339), die Entwicklung der vielfältiger einsetzbaren Set-Top-Box "d-box" - die im Gegensatz zu dem von BERTELSMANN mitgetragenen Konkurrenzmodell der MMBG auch über Anschlüsse für Telefon, CD-Player und PC verfügt - und die erfolgreiche Sicherung von Filmrechten für über zehn Milliarden Mark beigetragen.
Die eine Million von KIRCH georderten Set-Top-Boxen soll nun von der MMBG übernommen werden, von dem Konkurrenzmodell sollen nur 110.000 auf den Markt kommen. Der Vertrieb soll von KIRCH-Partner METRO und BERTELSMANN übernommen werden.
Bei PREMIERE, das allgemein als vielversprechende Startplattform für das digitale Fernsehen angesehen wird, einigte man sich auf eine Reduzierung der Anteile der verbündeten CANAL+ und BERTELSMANN von 75 Prozent auf 50 Prozent zu Gunsten des KIRCH-Verbündeten MURDOCH, der das so freiwerdende Viertel der Geschäftsanteile für eine halbe Milliarde Mark übernehmen soll. Bei der Programmbestückung einigte man sich darauf, daß KIRCH PREMIERE exklusiv mit
Top-Spielfilmen versorgen soll, während BERTELSMANN die Rechte an der Fußballbundesliga einbringt. Die Stellung KIRCHs wird aber v.a. durch die Entscheidung, daß DF 1 künftig seinen Kunden PREMIERE als "Premiumprogramm" anbieten darf und daß das als "Club RTL" angekündigte Digitalfernsehen von BERTELSMANN über KIRCHs Plattform DF 1 verbreitet wird, gestärkt. Eine Beteiligung von BERTELSMANN an DF 1 ist dagegen nicht vorgesehen. "Kommt die Absichtserklärung wirklich zustande. kontrolliert der Verbund auf viele Jahre die neue Art fernzusehen. Wer dann Pay-TV-Pakete in Deutschland anbieten will, käme an dem
mächtigen Duo kaum vorbei. [...] Unter dem Strich hatte der Fernseh-Visionär KIRCH die Bertelsmänner in die Ecke gedrückt. Ob der risikofreudige Münchner recht behält und das digitale Fernsehen ein Erfolg wird oder die Manager aus Gütersloh mit ihrer behutsameren Strategie gut beraten sind - alles ist offen."(340) Sollte das digitale Fernsehen sich allerdings als Fehlschlag entpuppen, könnte dies KIRCH wegen seiner enorm hohen Investitionen in eine wirtschaftlich prekäre Situation bringen.
Telekommunikationsgesetz/ Entwurf für ein Multimediagesetz
Am 31. Juli 1996 wurde das neue Telekommunikationsgesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (BGBl. I Nr. 38, S. 1120) und ist somit in Kraft getreten. Neben den Regelungen für die Privatisierung des Telekommunikationsmarktes, die in weiten Teilen eher halbherzig oder vage ausgefallen sind, haben insbesondere die Paragraphen 82 bis 88 für die künftige Entwicklung besondere Bedeutung. In diesen Paragraphen werden die Anbieter von Telekommunikationsdiensten zu umfangreichen Hilfsdiensten für staatliche Organe verpflichtet. Besondere Brisanz bergen die Paragraphen 87 und 89:
§ 87 Abs. 4: "Jeder Betreiber einer Telekommunikationsanlage, der anderen den Netzzugang zu seiner Telekommunikationsanlage geschäftsmäßig überläßt, ist verpflichtet, den gesetzlich zur Überwachung der Telekommunikation berechtigten Stellen auf deren Anforderung einen Netzzugang für die Übertragung der im Rahmen einer Überwachungsmaßnahme anfallenden Informationen unverzüglich und vorrangig bereitzustellen. [...]"Daß dieses Gesetz nicht zu Proteststürmen geführt hat, liegt zum einen daran, daß es sich um ein Gemeinschaftswerk der großen Parteien handelt (lediglich Bündnis 90/ Die Grünen und PDS stimmten gegen die Annahme des Gesetzentwurfes) und daß die Ländermehrheit, nachdem sie ihre Forderung nach Verschärfung einzelner Passagen verwirklicht sah(341), mit Zugeständnissen beim "Multimediagesetz"(342) zufriedengestellt wurde und darauf die Bedenken gegenüber dem Telekommunikationsgesetz (insbesondere wegen des Wegerechts, das es - wie in der Arbeit dargelegt - den Kommunen ermöglicht hätte, einen kostengünstigen allgemeinen Zugang mit den Betreibern auszuhandeln) fallen ließ. Und selbst bei den Providern, die lediglich die Überwachung von "unkritischen Daten"(343) sehen, ist eine zunächst abwartende Haltung zu beobachten - lediglich die Tatsache, daß die Umsetzung des Gesetzes für sie teuer werden könnte, hat sie bisher aufgebracht.(344) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Schleswig-Holstein, Dr. Helmut Bäumler meint allerdings, daß die Telekommunikationsnetze durch das Telekommunikationsgesetz eine neue Qualität erhalten. "Sie werden praktisch zum Bestandteil des Fahndungsnetzes von Polizei und Staatsanwaltschaft. Auch unverdächtige Bürger müssen dann damit rechnen, daß ihr Telefonverhalten jederzeit Gegenstand von lautlosen Rasterfahndungen werden kann. Dies waere ein Schritt in den Überwachungsstaat."(345) Vor dem Hintergrund, daß deutsche Fahnder von den Abhörmöglichkeiten extensiv Gebrauch machen(346), stimmt das neue Gesetz schon bedenklich. Eine letzte Chance, das in der "Informationsgesellschaft" immer wichtiger werdende Fernmeldegeheimnis zu wahren, liegt in der anstehenden Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Der Hamburger Strafrechtsprofessor Michael Köhler, der schwerpunktmäßig zum Betäubungsmittelrecht arbeitet, hat Klage gegen die Praxis des Bundesnachrichtendienstes erhoben, Auslandstelefonate routinemäßig mit Hilfe von Computern nach verdächtigen Schlüsselwörtern zu überprüfen. Da er von Berufs wegen häufig Gespräche führen müsse, in denen von Drogen die Rede ist, könne er mit jedem dieser Gespräche ins Fahndungsraster des BND geraten, was seiner Ansicht nach nicht im Sinne der Verfassung sein könne. Ein Grundsatzurteil zum Thema Fernmeldegeheimnis wird noch für dieses Jahr erwartet.(347)§ 89 Abs. 2: "Die aktuellen Kundendateien sind von dem Verpflichteten nach Absatz 1 verfügbar zu halten, so daß die Regulierungsbehörde einzelne Daten oder Datensätze in einem von ihr vorgegebenen automatisierten Verfahren abrufen kann. Der Verpflichtete hat durch technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, daß ihm Abrufe nicht zur Kenntnis gelangen können."
Abs. 4: "Die Regulierungsbehörde hat die Daten, die in den Kundendateien der Verpflichteten nach Absatz 1 gespeichert sind, auf Ersuchen der in Absatz 3 genannten Stellen im automatisierten Verfahren abzurufen und an die ersuchende Stelle weiter zu übermitteln. Sie prüft die Zulässigkeit der Übermittlung nur, soweit hierzu ein besonderer Anlaß besteht. [...]"
Rundfunkstaatsvertrag
Der von den Ministerpräsidenten der Länder im Juli verabschiedete Rundfunkstaatsvertrag sieht zwar eine Gebührenerhöhung für die öffentlich-rechtlichen Sender und die Einrichtung eines Parlaments- und eines Kinderkanals durch dieselben vor, gibt aber gleichzeitig die politische Konzentrationskontrolle des kommerziellen Fernsehsektors mehr oder weniger preis. Volker Lilienthal bezeichnete ihn deshalb in der ZEIT als den "Offenbarungseid einer gestalterischen Medienpolitik".(348)
In Zukunft darf kein Medienkonzern mit seinen Beteiligungen mehr als dreißig Prozent des Zuschauermarktes auf sich vereinigen. Die großen Medienkonzerne konnten bei dieser Rechnung allerdings ihre Interessen durchsetzen und erreichen, daß dabei nur Beteiligungen an Unternehmen, die über fünfundzwanzig Prozent hinausgehen,
angerechnet werden. (Ursprünglich sollte diese "Bagatellgrenze" bei zehn Prozent angesiedelt sein.) Damit rückt die Gefahr, daß eines Tages "Meinungsmacht" bei den Konzernen festgestellt werden könnte, selbst für KIRCH und BERTELSMANN in weite Ferne.
Erste Folge des verabschiedeten Rundfunkstaatsvertrages war die noch am gleichen Abend geschlossene Fusion der Fernseh-Tochterunternehmen von BERTELSMANN und AUDIOFINA, UFA und CLT. Ein Vertrag, der nach altem Recht nicht zulässig gewesen wäre, da der Konzern beim Marktführer RTL nach Umsetzung des Vertrages über eine Beteiligung von neunundachzig Prozent verfügen wird.
Auch bei den sogenannten "Fenstern" wurde eine den Konzernen entgegenkommende Regelung gefunden. Jeder Sender, der dauerhaft mehr als zehn Prozent der Zuschauer erreicht, muß einem anderen Programmanbieter wöchentlich mindestens eine Stunde der Hauptsendezeit zwischen 17 und 23 Uhr und zweihundert Minuten
in der übrigen Zeit zur Verfügung stellen. Neben der Tatsache, daß in der Diskussion vor der Beschlußfassung einmal die Rede von acht Stunden pro Woche zwischen 18 und 22 Uhr war(349), kommt nun hinzu, daß über ein Vorschlagsrecht die Auswahl der "aufzunehmenden
Programmanbieter" quasi beim Hauptveranstalter liegt und dessen Entscheidung von der jeweiligen Landesmedienanstalt lediglich zugestimmt werden muß. Programmanbieter wie die DCTP, die auch mit nicht allzu leichter "Programmkost" in den ihnen zur Verfügung stehenden Programmfenstern auftreten, werden so bei neuen Verträgen kaum noch eine Chance haben. Das Programmfenster, das ursprünglich vorgesehen war, um die publizistische Vielfalt zu sichern, wird so kompatible Programmlieferanten hervorbringen, die sich in das Programmschema des jeweiligen Senders einpassen. Es sei denn, die Landtage, die den Rundfunkstaatsvertrag noch ratifizieren müssen, besserten noch einmal in
ungewohnt starkem Maße nach.
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