9. Das Internet als Mittel der Massenkommunikation

9.1. Warum computervermittelte Massenkommunikation?

Mit dem großen Erfolg, den das Internet und andere Netze seit Einführung des Hypertext auch bei Bevölkerungsschichten außerhalb der Universitäten haben, wird es für Unternehmen immer interessanter, kommerzielle Angebote in diesem Medium zur Verfügung zu stellen. Infolge des z.Zt. noch nicht gelösten Problems, Produkte über das Netz bestellen und auch gleich bezahlen zu können(199), beschränken sich diese Angebote im Moment noch vornehmlich auf Informationen und Werbung. Je mehr Menschen allerdings Zugang zu den Netzwerken haben, umso interessanter werden diese nicht nur für Verkaufszwecke, sondern auch als allgemeines Informationsmedium. Folgende Vorteile können dabei theoretisch für computervermittelte Massenkommunikation gegenüber herkömmlicher Massenkommunikation angeführt werden:

Multimedialität: Durch die Digitalisierung könnten alle bisherigen Medien eingebunden werden (Schrift, Ton, Bild, Bewegtbild) und je nachdem, welche Art der Informationsvermittlung sinnvoll erscheint, miteinander kombiniert werden. Das Problem, das diese Idee mit sich bringt, ist, daß hierfür bei einer allgemeinen Anwendung sehr große Übertragungskapazitäten notwendig sind.

Individuelle Abfrage: Der Benutzer wäre nicht an Erscheinungs- oder Sendezeiten gebunden, sondern könnte neben der Frage, was er konsumieren, bzw. durch wen er sich informieren lassen möchte, auch bestimmen, wann er dies möchte. (Der Video on Demand-Gedanke in einer breiteren Umsetzung.)

Archiv/ Zusatzinformation: Durch eine intelligente Verknüpfung kann der Benutzer im Internet die Möglichkeit erhalten, auf ältere Berichte, Quellen, Gegenpositionen oder Informationen, die durch andere Personen/ Medien zur Verfügung gestellt werden, zurückzugreifen, statt durch ein "wir berichteten" oder den Verweis auf einen nicht vom Benutzer verfolgten Bericht, wie es in den herkömmlichen Medien bisher üblich ist, eher verwirrt als informiert zu werden. Eine umfassende Information zu Themen und Positionen, mit denen man sich bisher nicht befaßt hat, könnte so relativ problemlos ermöglicht werden.(200) Auch eine hierarchische Strukturierung innerhalb der Informationen wäre nach dem Modell der Nachrichtenagenturen denkbar: In einer ersten Übersicht wären die Überschriften mit kurzen Meldungen zu sehen. Verweise führten zu ausführlicheren Berichten, Hintergrundinformationen und Kommentaren. (Solche Strukturen würden, insbesondere wenn es sich um Ton- und Bildarchive handelt, allerdings eine schnell wachsende Menge an Speicherplatz in Anspruch nehmen.)

Interaktivität: Durch die Verknüpfung von Anwendungen der Massenkommunikation mit Anwendungen der Individualkommunikation wären verschiedene Formen der Interaktivität denkbar.(201) Diese würden von der Rückmeldung via e-mail an den Verfasser eines Beitrags (Leserbrief) bis zu multimedialen Diskussionsforen über jeden Beitrag reichen.

9.2. Demokratisierende Ansätze? - Der Zugang

Neben der Frage, wie Information und Kommunikation in Zukunft im Internet strukturiert sein werden, spielt die Frage nach den Zugangsvoraussetzungen für die Nutzer dieser Angebote schon heute in der Diskussion eine große Rolle. Dabei ist es m.E. abzusehen, daß sich früher oder später das Bundesverfassungsgericht wohl auch mit einem "Grundversorgungsauftrag" für Informationen in Computernetzen befassen muß.

"Wenn immer mehr Informationen (nur noch) über Informationsnetze zugänglich sind, sollten Kriterien wie Einkommen, Bildung oder Geographie nicht primär [!] über die prinzipielle Zugangsmöglichkeit entscheiden, zumindest soweit es um Informationen zu solch grundlegenden Bereichen wie der politischen Partizipation geht. Die Frage der informationellen Grundversorgung - 'wie können alle Bürger einen adäquaten Zugang zur Datenautobahn und den grundlegenden Informationsdiensten erhalten?' - ist unbeantwortet."(202)

Ohne konkrete Schritte zu benennen, kam die G7-Konferenz zur Informationsgesellschaft im Februar 1995 in Brüssel zu dem Schluß: "By establishing universal frameworks that are adaptable, they will ensure that all citizens will have access to new information services and thus be able to benefit from new opportunities. They will evaluate the impact of information services and technologies on society using existing organizational resources. Strategies to prevent marginalization and to avoid isolation will be developed."(203) Bleibt abzuwarten, inwieweit es sich hier um die Formulierung bürgerlicher Ideale oder um eine Zielformulierung, die durch konkrete Maßnahmen versucht wird umzusetzen, handelt.

Bei der Erörterung dieses Problems handelt es sich sicherlich um eine "Gleichung mit vielen Unbekannten". Die "radikalste" von politisch ernstzunehmender Seite (nämlich v.a. den Gewerkschaften, den Grünen und weiten Teilen der SPD) erhobene Forderung nach Aufstellung von PCs mit Netzzugang in öffentlichen Bibliotheken und anderen öffentlichen Räumen scheint ohne begleitende Strategien bezüglich ihrer Erfolgsaussichten eher fraglich, denn Kommunen, Länder oder Bund würden (je nach noch zu treffender Absprache) mit den Übertragungskosten (Leitungsgebühren) belastet.(204) Eine freiwillige Übernahme dieser Kosten, die bei flächendeckender Anwendung des Modells horrend sein dürften, ist von keiner der genannten Körperschaften zu erwarten.
Eine Lösung des Problems könnte auf einem der folgenden, momentan diskutierten Wege erreicht werden:
- Die Kommunen beharren bei der Verlegung von Kabeln auf ihrem Wegerecht und wehren sich gegen den Entwurf für das neue Telekommunikationsgesetz, der vorschreibt, "daß Straßen und Wege für die Verkabelung unentgeltlich genutzt werden dürfen". Der deutsche Städtetag "hat bereits mit einer Verfassungsklage gedroht, sollte der Postminister das Gesetz nicht ändern." Einen Kompromiß könnte der Vorschlag des Bremer Informatikprofessors Herbert Kubicek bringen: "Statt den Kommunen Abgaben zu entrichten, sollten die Telephonkonzerne als Gegenleistung für die Nutzung der öffentlichen Wege kommunale Einrichtungen unentgeltlich anschließen."(205)
- Es entstehen immer mehr kommunale Telefongesellschaften. "Meist sind die mittlerweile 86 Unternehmen Töchter der kommunalen Energie- und Verkehrsgesellschaften."(206) Sie verfügen neben der TELEKOM, der DEUTSCHEN BAHN und den großen Energieversorgungsunternehmen als einzige schon jetzt über Festnetze. Diese privatwirtschaftlich organisierten Gesellschaften könnten also als kostengünstige Anbieter für öffentliche Anschlüsse in kommunalen Einrichtungen auftreten.
- "Diskutiert wird auch über die Überlegung, jedem Netzbetreiber eine Mindestverpflichtung aufzuerlegen, nach der er bestimmte Leistungen gebührenfrei zu erbringen hat."(207) Angesichts der Tatsache, daß die Verkabelung ohne Nebenkosten im Entwurf für das neue Telekommunikationsgesetz angestrebt wird, ist m.E. allerdings davon auszugehen, daß diese Überlegung durch Phrasen wie "keine Nachteile im internationalen Wettbewerb schaffen" abgeschmettert wird.
Der Wunsch nach der politischen Regelung eines sozialverträglichen Zugangs scheint in den Diskussionen um die "Datenautobahnen" und die "Informationsgesellschaft" auf Regierungsebene jedoch nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Hier scheint der Wunsch, den neuen Anbietern einen unbelasteten Markteinstieg zu verschaffen, im Vordergrund zu stehen.
Dabei dürfte der kostenlose Zutritt zur Welt der Netze "den Markt befördern, weil viele Menschen nur auf diese Weise Erfahrungen mit der neuen Technik sammeln können. Kubicek verweist auf die USA, wo Telekommunikationskonzerne schon heute Schulen und Bibliotheken freiwillig auf eigene Kosten an ihre Netze anschließen, um bei potentiellen Kunden das Interesse an elektronischen Diensten zu wecken."(208)

"Das Gegenmodell geht von der staatlichen Fürsorgepflicht aus. In diesem Fall würde der Staat für jeden Bürger, der dazu selbst nicht in der Lage ist, die Kosten für die Grundversorgung übernehmen müssen. Letzteres ist das Modell des Bundessozialhilfegesetzes. Es lastet die Kosten eines so verstandenen Universaldienstes der Gemeinschaft und nicht dem einzelnen Unternehmer auf."(209) Ein Modell, das insbesondere nach dem "Zweiten Bonner Sparpaket" von 1996 m.E. in seiner Umsetzung mehr als fraglich erscheint.

In der gesamten Diskussion geht es allerdings zunächst v.a. um die Kosten für die Geräte und Leitungswege, nicht aber um die Kosten, die direkt mit der Nutzung eines Informationsangebots verbunden sind. Wenn aber erst sichere Möglichkeiten für die Inrechnungstellung und Abrechnung anfallender Kosten gefunden sind, ist davon auszugehen, daß Informationsangebote im Internet nicht mehr generell kostenfrei zur Verfügung stehen.

Z. Zt. haben Publikationen in den unterschiedlichen Diensten des Internet folgende Finanzierungsquellen:
1. Idealismus: Im nichtkommerziellen Bereich stellen viele Menschen und wissenschaftliche Institutionen ihre Arbeit und Technik unentgeltlich für Publikationen zur Verfügung.
2. Werbung/ Sponsoring: Diese Finanzierungsquelle findet sich fast ausschließlich im World Wide Web. Attraktive Seiten (gleich attraktive Informationsangebote) werden mit Firmenlogos und kleinen "Werbeplakaten" bestückt, über die man zu den Seiten der jeweiligen Firma gelangt.
3. Zuschußgeschäft: Immer mehr etablierte Medien wollen den "Trend der Zeit" nicht verpassen und geben deshalb Online-Publikationen oder -Informationen heraus. Dabei handelt es sich zumeist um langfristige Strategien, die zumindest kurz- und eventuell auch mittelfristig keinen Gewinn abwerfen werden. Im Moment gilt noch das olympische Motto "Dabeisein ist alles". Insbesondere im Printmedienbereich hat sich dabei inzwischen gezeigt, daß die einfache Übernahme des gedruckten Mediums ins Internet bei den Nutzern auf wenig Interesse stößt. Umso mehr aber gesondert aufgearbeitete Publikationen, insbesondere wenn die Möglichkeiten des Hypertext und eventuell gar die der Multimedialität genutzt werden. Damit ist aber klar, daß diese Publikationen eine gesonderte redaktionelle Betreuung erfordern. Auf lange Sicht werden die Verleger Online-Publikationen aber sicher nicht als Zuschußgeschäft betreiben wollen. Da es kaum wahrscheinlich ist, daß die Werbeeinnahmen die entstehenden Kosten jemals decken werden, ist mit der Inrechnungstellung der genutzten Angebote früher oder später zu rechnen.(210)
Inwieweit diese Kosten für die Anwender, die auf öffentliche Bibliotheken oder ähnliche Plätze zur Nutzung angewiesen sind, tragbar sein werden, bleibt abzuwarten. Da es sich hierbei jedoch um eine privatwirtschaftliche Nutzung handelt, sind staatliche Regulierungseingriffe schwer vorstellbar.
Die Hoffnungen, breite Schichten der Bevölkerung zumindest an einem kleinen Teil der neuen professionellen Informationsflut teilhaben zu lassen und so das vielbeschworene Auseinanderfallen der Gesellschaft in "information rich" und "information poor" zu verhindern, konzentrieren sich im wesentlichen auf die anstehende Neudefinition des Rundfunkbegriffs und auf die Auslegung der vom Bundesverfassungsgericht festgeschriebenen Fortentwicklungsgarantie der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Sollten die neuen Massenkommunikationsdienste mit unter den Begriff Rundfunk gefaßt und den öffentlich-rechtlichen Sendern eine Fortentwicklung auch in diesen Bereich hinein gestattet werden, könnte zumindest eine "Grundversorgung" mit Netzwerkdiensten kostenfrei erfolgen.(211) Damit verbunden wäre auch eine weitere Lösungsmöglichkeit für das Zugangsproblem. Je nachdem, wie das endgültige Set-Top-Box-Modell und die späteren Fernsehgeräte für digitales Fernsehen letztlich aussehen und unter welchen Modalitäten sie vertrieben werden, könnte über dieses Gerät ein zumindest kostengünstiger Netzwerkzugang bereitgestellt werden. Wenn die Geräte über ein Kabelmodem verfügten und somit über die Möglichkeit, digitale Daten in beiden Richtungen über das Fernsehkabel zu übertragen, könnten die Sender einen ihrer Fernsehkanäle als Netzwerkzugang zur Verfügung stellen.

Im nichtprofessionellen und nichtgewinnorientierten Bereich sieht die Situation nach dem momentanen Stand wesentlich hoffnungsvoller aus. Voraussetzung für die Veröffentlichung(212) von Informationen ist hier lediglich die Zulassung ("Account") auf einem ans Netz angeschlossenen Rechner ("Server"), der über einen geeigneten Dienst verfügt (heute zumeist WWW-, aber prinzipiell auch FTP- oder Mail-Server). Neben den Hochschulen bieten inzwischen auch kommerzielle Dienste ("Provider") und kommerzielle Netzbetreiber diese Möglichkeit.(213) Damit und mit den immer benutzerfreundlicher gestalteten "Werkzeugen" zum Erstellen solcher Seiten, die es mit relativ wenig Übung und ohne größere Fachkenntnisse ermöglichen, eigene "Web-Seiten" zu erstellen, ist der Gedanke "jeder Empfänger ist auch Sender" zumindest unter den Menschen, die Zugang zum Internet haben, prinzipiell verwirklicht.(214)
Gleichzeitig mit dieser Möglichkeit, "private Seiten" zu erstellen, tauchen allerdings zwei Probleme verstärkt auf, die m.E. gelöst werden müssen, bevor sich das Internet von einem "allgemeinen Spielzeug" zu einem "allgemeinen Werkzeug" entwickeln kann.
Zum einen müßte die Erweiterung der Übertragungskapazitäten mit der Erhöhung des "Verkehrsaufkommens" einigermaßen Schritt halten. Zur Zeit ist das Internet von Datenstaus gekennzeichnet, obwohl Ton und Bewegtbilder bisher nur in äußerst geringem Umfang übertragen werden.(215) Die Transformation der Datennetze zu einem universalen Übertragungsmedium, das Fernseh- und Hörfunkübertragungen in dem angestrebten gestiegenen Umfang und gleichzeitig die Ausweitung des Benutzerkreises auf "die Allgemeinheit" einschließt, würde die zu übertragende Datenmenge in solch hohem Maße ansteigen lassen, daß der Ausbau der Infrastruktur m.E. nicht allein ausreichen wird, um eine solche Transformation zu ermöglichen. Die Entwicklung besserer Kompressionsverfahren und Übertragungsprotokolle wird somit eine Schlüsselrolle bei dieser Entwicklung einnehmen. Dabei ist allerdings fraglich, wie treffend langfristige Prognosen über die Entwicklung und Akzeptanz der neuen Dienste und über die Entwicklung der Kompressionsverfahren sein können.
Zum anderen scheint die Entwicklung einer skeptisch-distanzierten Haltung der Benutzer insbesondere gegenüber den durch persönliche Seiten im World Wide Web vermittelten Inhalten notwendig. Dieser Bereich des Internet, der publizistischen Charakter hat, dem aber die Korrektur- und Kontrollinstrumente der Kommunikation nicht inhärent sind(216), sondern nur von dem jeweils "Publizierenden" beigegeben werden können, gerät sonst in Gefahr zu einer gigantischen "Gerüchteküche" zu werden.

Schließlich sind eine ganze Reihe von Datenschutzproblemen zu lösen, um der Entwicklung von Datennetzen zu allgemeinen Kommunikationsmitteln in Zukunft nicht nur eine Chance zu geben, sondern diese auch in einer freiheitlich-demokratischen Art zu gestalten. An dieser Stelle sei nur auf zwei, zur Zeit äußerst heftig geführte Diskussionen hingewiesen: Im Bereich der Individualkommunikation die Kryptographie-Debatte, in der es um die Sicherstellung der Privatheit persönlicher Kommunikation vs. Abhörmöglichkeiten für den Staat geht.(217) Und im Bereich der Massenkommunikation die Debatte über das Erstellen von Benutzerprofilen durch Unternehmen oder staatliche Stellen. Das neue Telekommunikationsgesetz, das für staatliche Stellen einen in Orwellschen Ausmaßen gläsernen Benutzer bringen soll(218), ist dabei sicherlich keine förderliche Entwicklung, und es bleibt nur zu hoffen, daß derartige Entwicklungen - wie jüngst in den USA geschehen(219) - von richterlichen Entscheidungen korrigiert werden. Sonst ist davon auszugehen, daß die sicher zu Recht prognostizierten Auswirkungen auf die gesamtgesellschaftlichen Kommunikationsbedingungen, die durch die Innovationen im Bereich der elektronischen Medien entstehen,(220) keineswegs positiv zu bewerten sind, mögen sie auch noch so "effizient" sein.



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