Es gibt jedoch eine ganze Reihe anderer, nicht so aufwendiger Projekte, die versuchen, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten zu nutzen. Im Folgenden soll anhand der drei Projekte "Digitales Rathaus", "Zeno" (ein "Mittlersystem für das World Wide Web")(301)/ "GeoMed"(302) und "Internationale Stadt" (oder auch "Digitale Stadt") untersucht werden, welche Möglichkeiten der Information, Kommunikation und Partizipation heute auf lokaler bzw. regionaler Ebene mit Hilfe der neuen Kommunikationstechniken umzusetzen versucht werden.
Eine ganze Reihe von Stadtverwaltungen ist heute bereits mit Angeboten im Internet vertreten. Die Angebote beschränken sich bisher allerdings weitgehend auf Serviceleistungen sehr unterschiedlicher Qualität. Die meisten bieten bisher kaum mehr als ein Verzeichnis der Adressen und Telefonnummern der Ämter, es gibt allerdings auch hin und wieder Angebote, die einen Schritt weitergehen. So gibt es Aufgabenbeschreibungen der verschiedenen Ämter (z.B. in Bochum, Leipzig oder Würzburg), Vorabveröffentlichungen wichtiger Termine (z.B. in Düsseldorf), Wegweiser zu den Ämtern in Form von Kartenausschnitten (z.B. Karlsruhe), Erläuterungen zur Ratsversammlung (Kiel), Informationen über die Fraktionen im Stadtrat (Leipzig) und erläuternde Hinweise, wie Tips für die Wohnungssuche oder Informationen über Anmeldeformalitäten (Mannheim). In Mannheim wird auch bereits ein erstes Formular (für den Wohnungswechsel innerhalb der Stadt) über das Internet bereitgestellt. Infolge der noch nicht bestehenden Möglichkeit einer digitalen "Unterschrift" muß diese jedoch weiterhin handschriftlich geleistet werden - entweder auf dem Amt oder auf dem Computerausdruck, der dann mit der normalen Post an die zuständige Stelle
geschickt werden kann.(303) Demnächst soll hier auch die Terminvergabe bei der KFZ-Zulassungsstelle per Internet möglich sein. Ziel solcher Angebote "ist ein Bürgerservice, der Behördengänge entweder unnötig macht, oder dort, wo sie heute noch erforderlich sind, sie bürgerfreundlich gestaltet".(304) Der Hauptvorteil, den das Informationssystem einer
Stadtverwaltung im Computernetz dabei gegenüber anderen Medien (bspw. Broschüren) bietet, ist, daß - nach entsprechender Schulung - Mitarbeiter der jeweiligen Abteilung selbständig die Seiten "pflegen", also auf aktuellem Stand halten können, die Informationen so also "vor Ort" immer aktuell gehalten werden können, obwohl es sich scheinbar um ein zentrales Informationsangebot handelt. Bei geschickter Gestaltung ist es außerdem möglich, die am häufigsten gestellten Fragen, bspw. beim Ausfüllen von Formularen, in die elektronisch
bereitgestellten Formulare einzubinden und dem Bürger so die Möglichkeit zu geben, dieses zu Hause in Ruhe auszufüllen. Das Zurücksenden per elektronischer Post stellt, wie schon gesagt - zumindest bis einfach zu bedienende und trotzdem sichere Verschlüsselungsprogramme entwickelt sind - m.E. dagegen eine äußerst fragwürdige Anwendung dar.(305) Auch sollte darauf geachtet werden, daß - im Interesse der Verwaltungsangestellten wie im Interesse der Bürger - der persönliche Kontakt nicht zur Ausnahmesituation wird. Menschen die, auch bei einem gewährleisteten allgemeinen Zugang,(306) mit elektronischen Strukturen nicht zurechtkommen oder sich diesen verweigern, dürfen nicht auf der Strecke bleiben.
Insgesamt eröffnen sich jedoch Möglichkeiten, Informationen aktueller und übersichtlicher als bisher bereitzustellen und dadurch auch Behördengänge in Häufigkeit und Dauer zu reduzieren.(307)
Neben diesen Angeboten der nachgeordneten Behörden, die durch ihren möglichen Nutzen sicher für viele Bürger interessant sein können, jedoch eher als Serviceangebote zu betrachten sind, sind auch - ganz so wie auf Bundes- oder Landesebene - Angebote der Parlamente (Stadt- oder Landkreisvertretungen etc.), der Parteien und Fraktionen und der politischen Verwaltungsspitze möglich. Zur Zeit sind solche Angebote erst im Entstehen begriffen (z.B. in Kiel, Lübeck und München). Inwieweit direkte Kommunikationsangebote auf lokaler Ebene Sinn machen, wo die Politiker hier doch - zumindest räumlich - wesentlich näher bei den Bürgern sind, kann sich erst zeigen, wenn diese Angebote in der Praxis getestet wurden. Durch die sich verändernden
Sozialstrukturen und Arbeitsbedingungen, die auch dazu beitragen, daß viele Bürger nicht mehr an dem kommunalen Leben teilnehmen, in dem bisher der direkte Kontakt zu den Lokalpolitikern möglich war (bspw. in Vereinen), sowie durch die Zusammenfassung zu größeren Verwaltungseinheiten, die die Distanz zwischen Bürger und politischer Verwaltung auch in ländlichen Gebieten erhöht haben, könnten computervermittelte Kommunikationsangebote jedoch auch hier eine sinnvolle Ergänzung der bisherigen Kontaktmöglichkeiten darstellen. Wegen des kleineren Nutzerkreises, für den diese Kommunikationsangebote von Interesse sind, wäre eine Umsetzung auch von "Live-Diskussionen" bspw. mittels IRC bei einem allgemein gewährleisteten Zugang einfacher als in dem großen Rahmen der Landes- oder gar Bundespolitik. Sinnvoll könnte aber bspw. auch die Einrichtung von unmoderierten Diskussionsgruppen (z.B. in den Usenet-News) zu Lokalthemen sein, an denen ein Mitglied der jeweils zuständigen Verwaltungsbehörde und - zumindest von Zeit zu Zeit - auch die Verwaltungsspitze, also bspw. der zuständige Dezernent oder Bürgermeister,
teilnimmt.
Eine weitere Möglichkeit, computervermittelte Kommunikation sinnvoll
einzusetzen, ist die Möglichkeit mit ihrer Hilfe Verwaltungsstrukturen offenzulegen und somit transparent zu machen. Von dieser Möglichkeit, dem Bild einer verstaubten Bürokratie, "die nicht in der Lage ist die einfachsten Entscheidungen in angemessener Zeit zu treffen", entgegenzuwirken, wird bisher kein Gebrauch gemacht. Das "Zeno"-Projekt der GMD, auf das im Folgenden eingegangen werden soll, hat zum Ziel, dies zu leisten und dabei sowohl eine Vereinfachung von Verwaltungsstrukturen und Entscheidungsfindungen zu ermöglichen, als auch Partizipationsmöglichkeiten für den einzelnen Bürger zu schaffen. "Zeno ist eine Anwendung im World Wide Web. [...] Die Verwendung von Zeno soll dazu beitragen, Planungsprozesse offener und demokratischer zu gestalten, die Qualität und Akzeptanz von Entscheidungen zu
erhöhen und damit Kosten und Verzögerungen durch Rechtskonflikte zu vermeiden."(308) Dieses Projekt, das von der Abteilung für die Entwicklung künstlicher Intelligenz bei der
GMD entwickelt wird, hat v.a. die Entwicklung eines elektronischen Mittlers als neutralem Moderator zum Ziel, der sich an Prinzipien für Argumentationsstrukturen orientieren soll, ist also auf eine informationstechnische Entwicklung ausgelegt. Ohne auf diesen Punkt näher eingehen zu wollen, läßt sich feststellen, daß die Präsentation des Systems Möglichkeiten aufzeigt, wie zunehmend "digitalisierte Entscheidungsprozesse" (womit hier lediglich die zunehmende Umstellung auf den Computer als Zeichen-, Schreib- und Archivinstrument gemeint sein soll) es ermöglichen, daß alle am Planungsprozeß Beteiligten jederzeit Zugriff auf den aktuellen und den kompletten Bestand der Planungsunterlagen haben und ferner diese Unterlagen, nach Fragestellungen geordnet, übersichtlich bereitgestellt werden können und schließlich durch die Vergabe von Rechten und Pflichten die Möglichkeiten der Nutzer, Dokumente einzustellen und einzusehen, mit Anmerkungen zu versehen, zu ändern oder zu beschließen, geregelt werden können. Da sich z.B. auch die Gruppe der "Anonymen" oder "Bürger" - mit nur beschränkten Schreib- und Leserechten - einrichten läßt, besteht auch die Möglichkeit, dieses System - zumindest in den dafür vorgesehenen Ausschnitten - der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der hier primär interessante Punkt ist, daß sich ein System entwickeln läßt, das auf allen Computersystemen funktioniert, in die bestehende Internet-Software eingebunden werden kann, also eine sehr einfache Handhabung für den Benutzer sicherstellt, und mit den Import und Exportfunktionen für die verschiedenen Dateiformate auf Serverseite ausgestattet werden kann, also in keinem Fall die
Installation zusätzlicher Software auf dem Computer des Nutzers erfordert. Die zentralen Seiten (also quasi die Übersichten) strukturieren die Dokumente ähnlich wie die meisten "Newsreader", also die Programme, mit denen Newsgroups gelesen werden können. Es werden hier zunächst die "Überschriften", also sehr kurze Bemerkungen, die möglichst genaue Hinweise auf den Inhalt der eigentlichen Nachricht enthalten, dargestellt. Indem man diese "Überschriften" anklickt, gelangt man zu den eigentlichen Dokumenten. Neben der bei den Newsreadern üblichen eingerückten Zuordnung von Folgedokumenten zu den Dokumenten, auf die sie sich beziehen, werden diese im Zeno-Projekt aber noch mit kleinen Piktogrammen versehen, die die Beziehungen der einzelnen Dokumente zueinander kennzeichnen. Bisher sind hierfür die Kennzeichnungen "Angelegenheit", "Positionen", "Unterstützende Argumente", "Gegenargumente",
"Prioritäten", "Entscheidungen" und "Kommentare"
vorgesehen.(309) Diese Piktogramme sollen eine bessere Übersicht über den Gesamtverlauf der Planungsdiskussion ermöglichen.(310)
In einer Vorstudie wurden die Dokumente eines abgeschlossenen Planungsablaufs für einen Wohn- und Technologiepark (Bonn/ St. Augustin) in das System eingespeist, um die möglichen Vorteile zu demonstrieren. Eine arbeitsfähige Basisversion des Systems soll im Frühjahr 1997 für die gemeinsame Anwendung mit anderen GeoMed-Projekten in Pilotanwendungen fertig sein. Bis zur breiten Umsetzung eines solchen Systems werden also sicher noch einige Jahre vergehen. Doch bietet dieses Projekt neben einem Blick in die mögliche Zukunft, die allerdings nur nach einer Reform des deutschen Aktenrechts über die Arbeitsteilung der beteiligten Behörden hinauswachsen und eine verstärkte Information und Partizipation des Bürgers ermöglichen kann, auch Anhaltspunkte für mögliche Anwendungen, die auch heute schon mit den bestehenden technischen Möglichkeiten - wenn auch nicht ganz so komfortabel und komplex - umgesetzt werden könnten. (Über HTML-Dokumente, integrierte Newsgroups oder mit Pearl- oder Java-Skripten erstellte, automatisierte Diskussionsforen und dergleichen. Eine Umsetzung allein mit einem menschlichen Mittler, der nicht von einem Computer unterstützt wird, sollte also auch möglich sein. Die Programmentwicklung sieht ein Ersetzen des menschlichen Mediators sowieso nicht vor, lediglich dessen Unterstützung.) Mit der verstärkten Nutzung von Computernetzen und der fortschreitenden Einführung von digitalen Akten werden die wesentlichen technischen Grundlagen in den Verwaltungen in den nächsten Jahren geschaffen werden.(311) Wenn auch der Gedanke des "kooperativen Arbeitens" in der Verwaltung umgesetzt wird, um die Arbeitsabläufe zu optimieren, so wird die Schaffung eines gemeinsamen "virtuellen Arbeitsplatzes", wie ihn das Zeno-Projekt darstellt, unumgänglich sein. Bliebe als letzte Hürde die Änderung des Aktenrechts, ein Unterfangen, das mit Blick auf den Datenschutz sicher äußerst umsichtig angegangen werden sollte. Letztlich stellt dies jedoch die wesentliche Grundvoraussetzung für eine stärkere Transparenz der Verwaltung dar, da alle technischen Hilfsmittel nur das rechtlich Mögliche vereinfachen können, in diesem Fall v.a. die einsehbaren vorliegenden Unterlagen leichter zugänglich machen können. Die Möglichkeit, den Diskussionen, die mit den Verwaltungsbeschlüssen verbunden sind, zu folgen, bzw. diese nachzuvollziehen und auch eigene Argumente einzubringen, kann nicht nur dazu führen, daß die Bürger ein weniger abstraktes Bild von der Verwaltung erhalten, sondern auch, daß die vollzogene Abwägung der Argumente zu einem nachvollziehbaren Ergebnis führt, das so einen breiteren Konsens in der Bevölkerung finden kann.
Inwieweit die allgemeine Einsichtnahme in Akten und Entscheidungsprozesse von den Verwaltungen nach der Schaffung der technischen und rechtlichen Voraussetzungen verwirklicht würde, ist eine ganz andere Frage, auf die hier nur spekulativ eingegangen werden könnte. Letztlich ist Verwaltungswissen auch Herrschaftswissen, und mit der Offenlegung würde dessen Wert drastisch vermindert werden.
Da eine Offenlegung von Verwaltungsangelegenheiten für viele Bürger zunächst v.a. im lokalen bzw. regionalen Bereich interessant ist, kommt auf dieser Ebene operierenden Projekten zunächst besondere Bedeutung zu. Außerdem kann dieser relativ überschaubare Rahmen, der eine bessere Beobachtung der Resonanz und der Auswirkungen der Projekte zuläßt, als Testfeld für Anwendungen gesehen werden.(312)
"Community Networks, auch bekannt unter den Namen Citizen- oder Neighbourhood Networks, sind virtuelle Gemeinschaften, welche auf bestehende geographische
Gegebenheiten aufbauen. Ihr primäres Ziel ist die Verfügbarkeit eines
Kommunikationsmediums, auf das auch technisch weniger versierte Menschen Zugriff haben. Auf diese Infrastruktur können dann sowohl öffentliche Institutionen, wie auch Vereine oder Privatpersonen zurückgreifen, um gemeinde-spezifische Informationen zu verteilen, Serviceleistungen in Anspruch zu nehmen, oder Meinungen auszutauschen."(313) Dieses in den USA schon seit den siebziger Jahren verbreitete Modell, das sich vornehmlich auf die übersichtliche Organisation und Bereitstellung von lokalen Informationen und die Schaffung einer Möglichkeit, über diese zu diskutieren, konzentriert(314), hat durch das Modell der "Internationalen Stadt"/ "Digitalen Stadt" eine Erweiterung erfahren. Die "Mutter aller Digitalen Städte"(315) ist das Projekt "De Digitale Stad" in Amsterdam, ein öffentliches Netzwerkprojekt, das, von einigen Computerfreaks initiiert, ursprünglich v.a. die Bereitstellung eines freien Internet-Zugangs für alle Menschen der realen Stadt Amsterdam zum Ziel hatte. Neben der Betätigung als Internet-Provider wollte man dabei der realen Stadt ein elektronisches Abbild gegenüberstellen. Der große Erfolg, den das Projekt nach seiner Eröffnung im Januar 1994 bei der Bevölkerung hatte(316), trug dazu bei, daß das Angebot ebenso wie die multimediale Umsetzung beständig und zügig ausgebaut werden konnte. Die Stadtverwaltung beteiligt sich ebenso wie die Regierung der Niederlande und eine große Zahl von Betrieben mit eigenen Angeboten an dem Projekt. Inzwischen bauen auch eine ganze Reihe anderer Städte in den Niederlanden digitale "Abbilder" auf, so Eindhoven, Delft, Den Haag, Utrecht, Groningen, Leiden und auch die Region Friesland.
In Deutschland sind vergleichbare Angebote noch nicht so weit fortgeschritten.
Bisher existieren die Internationalen Städte Berlin, Bremen (im Aufbau) und demnächst Köln. Im Folgenden soll stellvertretend die "Internationale Stadt Berlin" betrachtet werden. Sie ist ein von Künstlern betriebener Internetknoten in Berlin, durch den man versucht, einen stadtutopischen Ansatz zu verwirklichen. "Stadt" wird dabei "als gemeinschaftlicher Ort definiert, der allein durch die Möglichkeit der Telekommunikation hergestellt wird."(317) Diese postmodernistisch anmutende Definition von Stadt, die scheinbar alle politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge ausspart, wird jedoch nicht wirklich umgesetzt. Es handelt sich vielmehr um den Versuch, eine linke Stadtutopie umzusetzen, die basisdemokratisch orientiert ist und in der es nach dem Willen der Organisatoren gilt, "ein selbstorganisierendes System aufzubauen, in dem
die Inhalte von allen Beteiligten selbst gestaltet werden können."(318) Die Aufgaben, die sich die Initiatoren gestellt haben, lassen sich zunächst unterscheiden in die Bereitstellung von
möglichst preiswerten Internet-Zugängen für Einzelpersonen, Vereine und Firmen, in den Aufbau eines Informationsangebots und in das zur Verfügung stellen von strukturierten Kommunikationsangeboten.
Unter den bisher zur Verfügung gestellten inhaltlichen Angeboten dominiert eindeutig der Kulturbereich, wobei der Schwerpunkt auf dem Bereich "arts" liegt, was sich wohl durch die Verwurzelung der Initiatoren und Betreiber der "Internationalen Stadt" in
diesem Bereich erklären läßt. Beim "Bau" der "Internationalen Stadt Berlin" hat man, im Gegensatz zu dem Amsterdamer Vorbild, bei der graphischen Gestaltung der Benutzeroberfläche ganz auf Anleihen bei einer realen Stadt verzichtet und versucht durch eine Farbkennung vielmehr, eine übergeordnete Strukturierung des Angebots in die Bereiche Kultur, Stadtinternes (worunter Organisatorisches und Privates gefaßt wird) und Service zu leisten. Daß diese Einteilung ein viel zu grobes Raster bildet, wird bei dem Versuch der abstrahierten Darstellung der Vernetzungsbeziehungen deutlich, das der Navigation durch das Angebot dienen soll. Hier sind viele der explizit erwähnten Bereiche durch Mischtöne oder Farbkombinationen gekennzeichnet.
Daß dieses "Grobraster nicht starr und statisch ist, sondern die Grenzen fließend sind"(319), ist den Betreibern also durchaus bewußt, trotzdem versuchen sie nicht, die Übersicht über die Angebote in erster Linie themenbezogen, sondern nach dem genannten
Grobmuster zu gliedern.(320) Die Ausgliederung aller kommerziellen Angebote in den Bereich "Market", der sich in der graphischen Darstellung bezeichnenderweise am rechten unteren Rand befindet, läßt zunächst auf eine dogmatische Umsetzung der linken Stadtutopie, der jegliche Form von Kommerz suspekt ist, schließen. In dieser Hinsicht weicht das Berliner Konzept von dem niederländischen Vorbild und wohl auch von der Stadtmetapher ab. Durch den
Aufbau des Projektes zu einem Zeitpunkt, zu dem das Internet bereits massiv das Ziel kommerzieller Angebote war, erscheint diese Maßnahme jedoch verständlich: Eine
"Kommerzialisierung" des gesamten Angebots, noch ehe sich eine Stadt hätte bilden können, wäre bei absoluter "Gewerbefreiheit" wohl unvermeidlich gewesen. Die Idee, "daß die Einwohner der Stadt aktiv an ihrem Aufbau teilnehmen"(321), "ohne zwischengeschaltete Instanzen, die eine Auswahl nach Kommerzialität und gesellschaftlichem Konsens treffen"(322), steht hier zur Zeit deutlich im Vordergrund.
Wenn sich in einer digitalen Stadt wirkliches Leben entfalten soll, gilt es allerdings, neben gesellschaftlichen Gruppen und Einzelpersonen, die die eigentlichen Benutzer darstellen, auch die Wirtschaft und staatliche Stellen einzubinden und die Kräfte dieser drei Gruppen in Balance zu halten.(323) Die in Berlin gewählte Rechtsform des Vereins entspricht der momentanen konzeptionellen Schwerpunktsetzung bei den Benutzern und verstärkt sie so.(324) Der m.E. wichtigste Ansatz, den die "Internationale Stadt Berlin" verwirklicht, ist die Bereitstellung einer technischen (Zugang) und kommunikativen Infrastruktur (Programmierung der Kommunikationsmöglichkeiten), die dann durch die Benutzer mit Leben gefüllt werden kann und sich nach ihren Bedürfnissen sowohl inhaltlich als auch technisch fortentwickelt. Zur Zeit liegt der Schwerpunkt der Möglichkeiten noch im Informationsbereich, doch Angebote wie der "Workspace", der den Nutzern sowohl einen individuellen Arbeitsplatz, als auch Raum für die Arbeit selbst zu bildender Gruppen zur
Verfügung stellt, bilden themenbezogene Kommunikationsmöglichkeiten.(325) Mit dem "Clubnetz" (ebenfalls von den Initiatoren der "Internationalen Stadt" betrieben und in deren Angebot integriert), das in verschiedenen Lokalen frei zugängliche Computer zur Verfügung stellt, ist außerdem ein erster Schritt in Richtung auf einen freien Zugang von
öffentlichen Räumen aus getan, auch wenn das hier zur Verfügung gestellte Angebot bisher sehr eingeschränkt auf direkte Kommunikation abzielt.
Die "Internationale Stadt Berlin" ist zum jetzigen Zeitpunkt also v.a. für den kommunikativen Austausch eines kleinen Nutzerkreises interessant, dem sie eine "elektronische Nachbarschaft" bietet, die auf dem Weg der Kommunikation neue Informationsressourcen erschließen kann.(326) Insbesondere für Gruppen - und dabei muß es ja nicht "nur" um das Schreiben eines Romans gehen - bietet sie eine gute Infrastruktur für kooperatives Arbeiten.
Die Nutzer haben hier im Gegensatz zu kommerziellen Online-Diensten, die auch Informationsangebote bereitstellen, direkten Anteil am Aufbau und an den Inhalten. Die minimale Einbindung von Informationen der öffentlichen Hand,(327) für die wahrscheinlich nicht vorrangig die Betreiber der "Internationalen Stadt Berlin" verantwortlich zeichnen, und die Randstellung der Wirtschaft stören das Stadtbild m.E. erheblich. Die Entwicklung eines "Flächennutzungsplans", der kommerzielle Angebote zwar in die eigentliche Stadt integriert, bestimmte Bereiche aber weiterhin von ihnen frei hält und in anderen
Bereichen die Menge der kommerziellen Angebote limitiert, wäre wünschenswert.(328)
Der "Internationalen Stadt Berlin" merkt man den gesellschaftlichen Hintergrund ihrer Betreiber leider allzu deutlich an. Der etwas bescheidenere Versuch, ein "Künstlerviertel Berlin" aufzubauen - in dem man ja durchaus auch mit Kommunikationsmöglichkeiten hätte experimentieren können - wäre sicherlich sinnvoller gewesen als der hier doch etwas überdimensioniert wirkende Ansatz der Stadtmetapher.
Der erst relativ spät begonnene Aufbau der "Internationalen Stadt" - zu einer Zeit, als der Trend der Wirtschaft, sich ins World Wide Web zu begeben, schon einsetzte - und die fehlende öffentliche Förderung, in finanzieller wie inhaltlicher Hinsicht, sind bezeichnend für das deutschsprachige Informationsangebot im World Wide Web. Jeder versucht, sein Angebot zu verwirklichen und eine auf seine Interessen
maßgeschneiderte Lösung zu finden (von der er meistens nicht weiß, wie sie aussehen soll), während übergreifende, viele Angebote integrierende Lösungen kaum verfolgt werden - also mehr auf die Visitenkarte, die das eigene Angebot darstellen soll, geachtet wird als auf den Nutzen für den Benutzer. Eine übersichtlich gestaltete Zusammenfassung der Angebote, für die sich die Stadtmetapher besonders eignen würde, ist dabei nicht abzusehen. "Das gesellschaftspolitische Konzept der digitalen Stadt wird sich im Vergleich zu den eher wirtschafts- und verwaltungsorientierten Vorstellungen von Stadtinformation [...] nur schwer durchsetzen können - solange zumindest, bis hierzulande Staat und Parteien die Information des Bürgers nicht mehr als lästige Pflicht, sondern als Chance der Gestaltung unserer Demokratie betrachten"(329) - also
nicht mehr die Information durch den Staat, die Parteien oder die Stadt im Vordergrund steht, sondern die Information über diese Stellen - und solange die wirtschaftlichen Erwartungen und Interessen, insbesondere auf der Seite der Betreiber, noch so hoch sind. Ein Nebeneinander von autarken Informationssystemen und Dienstbetreibern ist absehbar und allenfalls ein Verbund derselben zu erreichen. Die Hoffnung, die unterschiedlichen Angebote unter einem gemeinsamen "Dach" inhaltlich zu vernetzen oder themenorientiert Seite an Seite zu stellen, erscheint bei der Betrachtung der Situation in
Deutschland momentan dagegen eher utopisch.
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