3. Massenkommunikation und Demokratie

3.1. Demokratie

Da es keine allseits akzeptierte Lehrmeinung oder Definition für den Begriff Demokratie gibt, der sich trotzdem (oder gerade deswegen) zu einem Schlüsselbegriff der modernen politikwissenschaftlichen Semantik entwickeln konnte, erscheint es für die Arbeit sinnvoll, sich zunächst diesem Begriff zuzuwenden. Ohne näher auf die verschiedenen Demokratietheorien eingehen zu wollen, sollen von einem Abriß der historischen Begriffsentwicklung ausgehend die wichtigsten Kerngedanken, bzw. konstituierenden Elemente von Demokratie erarbeitet werden(22), um dann im Kapitel 3.2. einen kurzen Blick auf die den Massenmedien zugedachten Funktionen und deren Umsetzung zu werfen.

Der Begriff Demokratie leitet sich von den griechischen Wörtern demos (=Volk) und kratein (=herrschen) ab. Demokratie ist also "Volksherrschaft". Von Aristoteles wurde die Demokratie als Entartungsform der Politie beschrieben. Bis in die Neuzeit wurde sie fast ausschließlich als Begriff der Staatsformenlehre gebraucht. Infolge der amerikanischen und französischen Revolution wurde Demokratie zu einem Tendenzbegriff, der fortan nicht lediglich eine Verfassungsform beschrieb, sondern auch die bürgerlich-liberalen Autonomie- und Mitbestimmungsforderungen einschloß. Die Begriffe Demokratie und Demokratisierung wurden prägend für den Übergang vom Konstitutionalismus zum modernen Verfassungsstaat. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts fand zudem oft eine semantische Gleichsetzung von Demokratie und Republik statt.

Der Begriff "Volksherrschaft" ist heute kaum noch geläufig. Er wurde in der Moderne weitestgehend durch den Begriff "Volkssouveränität" ersetzt, der sich zur Beschreibung der entstehenden Repräsentativsysteme wesentlich besser eignete.

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland findet sich der Gedanke der Volkssouveränität in Art. 20, Abs. 2:

"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt."(23)

Anders formuliert: Herrschaft muß grundsätzlich durch das Volk legitimiert werden, die Willensbildung sollte also von unten nach oben erfolgen(24) oder: Demokratie herrscht, wenn "die Regierung für das Volk da ist und nicht umgekehrt".(25)

Da die Volkssouveränität in repräsentativen Demokratien v.a. in Wahlen ihren Ausdruck findet und sich im wesentlichen auch auf diese beschränkt, kommt den Wahlen eine besondere Bedeutung zu. Sie müssen deshalb frei, wiederkehrend und konkurrenzbestimmt sein.(26)

Die Kriterien, daß Wahlen wiederkehrend und konkurrenzbestimmt sein sollen, sind für diese Arbeit nicht weiter relevant, wohl aber die Freiheit der Wahl.
Die Freiheit der Wahl ließe sich neben dem "fehlenden" Zwang oder Druck zu einer bestimmten Entscheidung auch an einer "autonomen öffentlichen Meinung"(27) und politisch interessierten und informierten Wählern festmachen.(28)
Daß der politisch interessierte Wähler in erster Linie eine Herausforderung für die politische Bildung darstellt, dürfte außer Frage stehen, ebenso wie die Information des Wählers und die "autonome öffentliche Meinung" wohl existenziell zu den Aufgaben der Massenmedien zu rechnen sind. Die Bedeutung, die der öffentlichen Meinung und ihren "Institutionen" - den Massenmedien(29) - in der Bundesrepublik zugeschrieben wird, zeigt sich in der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts: "Das durch Art. 5 GG gewährleistete Recht der freien Meinungsäußerung, Presse- Rundfunk-, Fernseh- und Filmfreiheit sind für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend."(30) Es ist "eine wesentliche Voraussetzung für eine freie politische Willensbildung des Volkes."(31) "Freie Meinungsbildung als Voraussetzung sowohl der Persönlichkeitsentfaltung als auch der demokratischen Ordnung vollzieht sich in einem Prozeß der Kommunikation, der ohne Medien, die Informationen und Meinungen verbreiten und selbst Meinungen äußern, nicht aufrechterhalten werden könnte. Unter den Medien kommt dem Rundfunk wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft besondere Bedeutung zu."(32)

Die "Herstellung einer autonomen öffentlichen Meinung" oder die "Herstellung von Öffentlichkeit" werden oft als die Funktion der Massenmedien bezeichnet.(33) Diese läßt sich jedoch zumindest in vier Hauptfunktionen unterteilen.

3.2. Die Funktionen der Massenmedien

- Informationsfunktion
Noch einmal von der Volkssouveränität ausgehend verlangt die Demokratie normativ nach "vollkommener Transparenz"(34), damit "das Volk" das Handeln seiner Repräsentanten verstehen und kontrollieren kann.
Diese "vollkommene Transparenz" verlangt eine "sachorientierte und anschauliche, detaillierte und umfassende Darstellung von Problemen, Ereignissen, Zuständen, Institutionen und Persönlichkeiten aus allen Sektoren der Gesellschaft."(35)
Wichtig ist dabei, daß nicht nur oberflächliches Faktenwissen vermittelt wird, sondern Zusammenhänge aufgezeigt werden und zur Urteilsbildung und Orientierung verholfen wird.(36) Denn der Bürger soll durch die Informationen der Medien befähigt werden, "die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge in einer demokratischen Gesellschaftsordnung zu verstehen sowie seine eigenen Interessenlagen und Handlungsmöglichkeiten zu erkennen. Er kann sich über die Absichten und Handlungen aller an politischen Entscheidungen beteiligten Personen, Gruppen oder Institutionen so informieren, daß er in die Lage versetzt wird, selbst in die politischen Entscheidungsprozesse einzugreifen."(37) Die Informationsfunktion (oder auch Berichts- und Informationsgewalt) "wird dadurch verstärkt, daß der Staat von sich aus kaum informiert, wenn man von Gesetzes- und Amtsblättern, vereinzelten Warnungen und der Abhaltung von Pressekonferenzen absieht."(38)

- Artikulationsfunktion
Den Massenmedien obliegt es, die Meinungen der Bevölkerung zu artikulieren. Dabei ist die Berücksichtigung aller gesellschaftlichen Gruppeninteressen nötig, also auch die von Gruppen, die sich auf dem Markt oder in der Politik nicht behaupten können.(39) Eine demokratische Meinungs- und Willensbildung ist nur möglich, wenn alle Meinungen artikuliert werden können.(40) Massenmedien haben also für die "Gleichheit der Chancen beim Prozeß der Meinungsbildung"(41) zu sorgen, indem sie den Pluralismus der Gesamtgesellschaft in sich reproduzieren.(42) "Die Demokratie und der für die Demokratie essentielle Prozeß der gesellschaftlichen Kommunikation bedürfen nicht nur dieser Vielfalt medialer Artikulationschancen, sondern auch der Sicherung des Dialogs, der Diskussion".(43)

- Kritik- und Kontrollfunktion
Aufgrund der intensiven und "unabhängigen" Beschäftigung mit Politik wird den Massenmedien eine umfassende Kritik- und Kontrollfunktion zugeschrieben. Sie werden oft als "vierte Gewalt"(44) bezeichnet, wobei sie als solche jedoch nicht den drei konstitutionellen Gewalten beigestellt, sondern vielmehr diesen wie auch jeder anderen "Gewalt" (z.B. im kulturellen oder wirtschaftlichen Bereich) als Widerpart, Kontrollinstanz und Mittler gegenübergestellt werden.(45)
Oft wird auch "politische Integration (Systemstabilisierung) bei gleichzeitiger Erhaltung der Responsivität politischer Institutionen"(46) als Aufgabe der Massenmedien beschrieben. Äußerst selten findet sich in der Literatur hingegen der Verweis, daß die "öffentliche Wächtertätigkeit lediglich auf die Beseitigung von Funktionsmängeln der etablierten demokratischen Institutionen" abzielen darf. Stellen "publizistische Aktivitäten das politische System als solches in Frage, werden sie ihrerseits als mißbräuchliche Machtanmaßung gewertet und als solche mehrheitlich abgelehnt. [...] Hält man hingegen den Zustand des politischen Systems grundsätzlich für mangelhaft und veränderungsbedürftig, so kann man im unangepaßten Journalismus durchaus eine positive Chance für die Fortentwicklung der politischen Kultur sehen."(47)
Jede Kritik und Kontrolle, Information und Herausbildung öffentlicher Meinung wird also unabhängig vom Volkswillen in die Schranken der Systemkonformität verwiesen.

- Soziokulturelle Funktionen
Massenmedien dienen in den modernen westlichen Industriegesellschaften, in denen es immer schwerer wird, viele "natürliche" Erfahrungen selbst zu erleben, als Sozialisationsinstanz. "Das Publikum lernt die Welt durch die Aussagen der Massenkommunikation kennen und erkennen."(48) Sie wirken bei der Entwicklung von Überzeugungen, Werten und Normen mit.(49) Ob die Massenmedien in der vielbeschworenen "fragmentierten Gesellschaft" eine Integrationsinstanz sind oder durch ihre Vielfalt gerade zu dieser Fragmentierung beitragen, soll dahingestellt bleiben. In vielen Fällen haben Massenmedien jedoch ihre Integrationskraft unter Beweis gestellt.(50) Schließlich sollen Massenmedien unterhalten. "Unterhaltung kann sowohl der Entspannung und Erholung, als auch der kreativen Anregung, der Bildung und der kulturellen Orientierung dienen."(51) Sie kann auch Kultur sowie Perspektiven für die Lebensführung und eigene Freizeitgestaltung vermitteln(52) und so eine Reproduktionsleistung erbringen.(53)

3.3. Wirkung von Massenmedien

Die Wirkungen, die den Massenmedien zugeschrieben werden, sind nach wie vor umstritten und schwanken zumeist zwischen extremen Positionen. Mit Beginn der Wirkungsforschung in den dreißiger Jahren kam zunächst das Ohnmachtsschema auf, das den Medien fast jegliche Einflußmöglichkeit absprach.(54) Es scheint, als habe das durch die Verstärkerhypothese illustrierte Ohnmachtsschema lange die politische Kommunikationsforschung gelähmt, denn alle Aktivität bezog sich in den folgenden Jahren auf die Werbeforschung, in der aus verständlichen wirtschaftlichen Interessen wesentlich heftiger um die Wirkung der Medien gestritten wurde. Erst in den sechziger Jahren gelang Herbert Marshall McLuhen der erste wirkungsvolle "Gegenschlag" gegen das Ohnmachtsschema: Zunächst 1962 mit "The Gutenberg-Galaxy" (über das Ende der "Gutenberg-Zeit" und den Aufbruch in die "Marconi-Zeit") und dann 1964 mit seiner Kritik der Medienkultur "Understanding Media: The Extensions of Man", wodurch er zum Liebling der Medien wurde. Dies dürfte sicher neben der Tatsache, daß er eben diesen Medien wieder ihre seit Beginn der Wirkungsforschung verlorene "Großmachtstellung" zugestand, auch an seinen quot;griffigen" Formulierungen gelegen haben. "The Medium is the Message" und das "global Village" sind eingängige Floskeln, die sich auch in der Diskussion um den "Cyberspace" wieder großer Beliebtheit erfreuen. - Und so wird McLuhen, nachdem er Ende der sechziger Jahre zum "Orakel des elektrischen Zeitalters"(55) ernannt wurde, vielfach auch zum Orakel des "elektronischen Zeitalters" stilisiert.
Ein "Aufsplitten" der politischen Wirkungsforschung auf die einzelnen medialen Teilbereiche(56) und die Hinwendung zu längerfristigen Untersuchungen brachte seit den sechziger Jahren eine verwirrende Vielfalt von Forschungsansätzen hervor.(57) Dabei stellte sich die oft eindimensional praktizierte Gleichsetzung von wirtschaftlicher Macht (im publizistischen Bereich) mit Medienmacht als zu simple Kausalerklärung und Denkfehler heraus. Das "Szenario mit drei Hauptrollen, dem Trio aus Medien, Publikum und Politik, führte dazu, daß endlich jenes Gesellschaftsdrama über die Alleinherrschaft der Medien, seien diese nun mächtig oder ohnmächtig, abgesetzt werden konnte"(58), was den weitgehenden Verlust von einfachen, alles erklärenden Ansätzen zur Folge hatte. "Seit langem besteht also in der Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft ein Grundkonsens dahingehend, daß zwar die genaue Wirkung der Medien auf den Rezipienten [...] nicht feststellbar ist, daß aber [...] von einer ständigen Wechselwirkung auszugehen ist: einerseits stellt die Presse [...] öffentliche Meinung dar und andererseits bildet sie diese auch."(59)
Trotzdem erfreut sich die These von der überlegenen Macht des Fernsehens, insbesondere auch in der Politik, ungebrochener Beliebtheit. Elisabeth Noelle-Neumann stützte diese "mit ihrem Bild vom Fernsehen als dem 'getarnten Elefanten'. Diese Machtthese des Fernsehens beeinflußte seit Beginn der 70er Jahre in der Bundesrepublik die Haltung der politischen Kräfte gegenüber dem Fernsehen und führte zu einem in Wissenschaft und Praxis gleichermaßen heftigen Streit."(60)



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