4. Politikvermittlung im Fernsehen(61)

Die Entwicklung der Fernsehlandschaft in der Bundesrepublik war seit der Einführung des Fernsehens zu Beginn der fünfziger Jahre begleitet von der Diskussion um die Vermittlung von Politik durch das Fernsehen, wobei besonders das Verhältnis zwischen dem Fernsehen und den politischen Parteien zwiespältig war - und dies nicht erst seit Noelle-Neumanns Thesen.
Mit der "Macht der Presse" hatten sich die Parteien in der jungen Bundesrepublik noch einigermaßen arrangieren können, wohl nicht zuletzt, weil man in den frühen Jahren weite Teile der Presse noch ganz in der Tradition der früheren Meinungspresse sah, in der jede politische Position ihre festen "Sprachrohre" und Gegner hatte.
Fernsehen (und Rundfunk) waren jedoch - wie später auch die Parteien, nachdem sie sich zu "Volksparteien" entwickelten - Institutionen, die sich nicht an ein durch Klasse oder Schichtung definiertes Publikum wendeten, und sie waren auch nicht eindeutig einer politischen Partei oder Richtung zuzuordnen(62). Später wurde dem Fernsehen unter den Medien die größte politische Relevanz zugesprochen, was es für die Politik sowohl interessant als auch bedrohlich erscheinen ließ.
So war das öffentlich-rechtliche Fernsehen der Kritik und sehr schnell v.a. der versuchten Einflußnahme der Parteien ausgesetzt und befand sich in einem Spannungsfeld, das seine Auswirkungen auch auf die Politikvermittlung zeigte.
Die Unzufriedenheit der Parteien mit der Stellung und Relevanz des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, auch was die Politikvermittlung betraf, war letztendlich ein wichtiger Grund für die Zulassung privater Fernsehanbieter.

Zwischen dem Auftrag zur Information und der Furcht der Parteien vor einem zu großen Einfluß des Fernsehens auf das politische Geschehen bewegt sich eine Auseinandersetzung, die 1995 ihren vorläufigen Höhepunkt in der Forderung nach der Abschaffung der ARD fand, worauf im Kapitel 4.2.3. "Die Diskussion um den Fortbestand der ARD" noch näher eingegangen werden soll.

Im Folgenden soll die Funktion des Fernsehens als Vermittler politischer Inhalte und als Faktor der sich wandelnden Darstellung von Politik untersucht werden. Dies umfaßt prinzipiell sowohl die Informations- als auch die Artikulations- und die Kritik- und Kontrollfunktion im politischen Bereich. Im Rahmen dieser Arbeit soll jedoch primär die Informationsfunktion untersucht werden.
Am Beispiel der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten und der kommerziellen Privatsender(63) läßt sich die Entwicklung und Wandlung der politischen Berichterstattung verfolgen.

4.1. Besonderheiten bei der Vermittlung von Politik durch das Medium Fernsehen

Die Politikvermittlung durch das Fernsehen ist geprägt von den technischen Voraussetzungen und der Besonderheit des Mediums, den Anforderungen des Medienmarktes und den vermeintlichen Wünschen der Zuschauer. Diese Kriterien sorgen für eine Berichterstattung, die vielfach auf Kritik stößt, sowohl bei den Parteien als auch bei einzelnen Angehörigen der (öffentlich-rechtlichen) Anstalten selbst.
Ohne sich auf das Medium Fernsehen, das sich zu diesem Zeitpunkt noch im absoluten Versuchsstadium befand, beziehen zu können, hat der Publizist Walter Lippmann 1922 eine Aussage getroffen, die heute mehr denn je für die gesamte Medienlandschaft und vor allem für das Fernsehen zutrifft: "Die Welt, mit der wir es in politischer Hinsicht zu tun haben, liegt außer Reichweite, außer Sicht, außerhalb unseres Geistes. Man muß sie erst erforschen, schildern und sich vorstellen [...] Denn die reale Umgebung ist insgesamt zu groß, zu komplex und auch zu fließend, um direkt erfaßt zu werden [...] Obgleich wir in dieser Welt handeln müssen, müssen wir sie erst in einfacheren Modellen rekonstruieren, ehe wir damit umgehen können."(64)
Gerade die Simplifizierung komplexer Zusammenhänge, wie sie häufig in der Fernsehberichterstattung und hierbei vor allem in den Nachrichtensendungen vorgenommen wird, erfährt vehemente Kritik von vielen Seiten. Das Fernsehen vermittelt nur in geringem Maße ein Bild der realen Politik, die durch die zähe Arbeit in Gremien, langwierige Verhandlungen und vor allem durch die Arbeit auf der mittleren Ebene(65) gekennzeichnet ist. Politik wird stattdessen zum größten Teil auf medienwirksame Ereignisse verkürzt. Durch den Zwang der Visualisierung findet zudem eine Nachrichtenauswahl statt, die sich häufig an Personen orientiert, da diese sich zugegebenermaßen besser in Szene setzen lassen als die alltägliche Gremienarbeit. Politik wird so personalisiert und als Geschäft mächtiger Männer dargestellt. Das Prozeßhafte der Politik wird bei der Vermittlung durch das Fernsehen zumeist nicht deutlich, Zusammenhänge werden aufgelöst und durch Einzelbilder ersetzt.(66) Die Informationsfunktion wird so in weiten Teilen nur unzureichend erfüllt. Für viele Menschen entsteht ein Bild von Staat und Regierung, das nichts oder zumindest wenig mit Demokratie zu tun hat.
Der Stellenwert von Nachrichten orientiert sich vorrangig an dem Kriterium der Aktualität, so daß wichtige, jedoch nicht mehr unter den Aspekt "Neuigkeit" fallende Prozesse nicht vermittelt, sondern durch die Berichterstattung über aktuelle Katastrophen o.ä. ersetzt werden. Auch die politische Berichterstattung scheint sich am vermeintlichen Zuschauerinteresse orientieren zu müssen und versucht durch Abwechslung, Prominenz der Akteure, Skurriles und den gewissen "human touch" der Langeweile des Zuschauers vorzubeugen. Nachrichten werden dadurch zum sogenannten "Infotainment", dessen tatsächlicher Informationsgehalt vielen fragwürdig erscheint. Friedrich Krotz bemerkt hierzu, "daß die Tendenz des Leitmediums Fernsehen, Nachrichten und Informationen in einen bunten und unterhaltenden Bilderreigen aufgehen zu lassen, zum Orientierungsverlust der Bürger maßgeblich beiträgt".(67)
Das "Leitmedium Fernsehen" prägt jedoch nicht nur das Bild von der Politik, sondern auch die Politik selbst. "Schon die bloße Tatsache der Berichterstattung beeinflußt ein Ergebnis, begünstigt Ritualisierungen, Inszenierungen."(68) Inszenierungen sind vor allem vor Wahlen zu beobachten, wenn es für die einzelnen Politiker oder Parteien darum geht, von den Medien wahrgenommen zu werden. Aber auch im politischen Alltagsgeschäft kommt der Medienwirkung einzelner Akteure immer größere Bedeutung zu. Selbstdarstellungskompetenz wird zu einem wichtigen Faktor einer politischen Laufbahn, trotz aller Ausnahmen von dieser Regel. Der Zwang zur Selbstdarstellung führt zu einem verzerrten Bild der Politik als Schaukampf und Schlagabtausch. Sachkompetenz wird durch rhetorisches Können ersetzt, da dieses einen größeren Erfolg beim Publikum erzielt als lange Erklärungen politischer Sachverhalte.
Je weniger der Zuschauer jedoch in der Lage ist, politische Zusammenhänge und Kontinuitäten zu erkennen, desto eher wird sich auch seine eigene Meinung auf Parolen und eindimensionale Floskeln reduzieren. Das Bild von "denen da oben" wird maßgeblich mitgeprägt durch verkürzte, vereinfachende Medienberichterstattung. Handlungskompetenz und politische Mitbestimmung, wie sie für ein demokratisches System erforderlich sind, können durch eine Berichterstattung, die im Zuschauer Resignation und innere Distanz hervorruft, indem sie politische Prozesse nicht transparent macht, nur schwerlich gefördert werden.

Dabei eröffnen die besonderen Qualitäten des Fernsehens, so v.a. die der Visualisierung, die neben den genannten Nachteilen auch Chancen birgt, die Möglichkeit, Themen und Ansichten zu transportieren, die zunächst nicht den Vorstellungen des Zuschauers entsprechen. Wird ein Sujet jedoch auf interessante, unterhaltsame Weise vermittelt, kann der Zuschauer sich damit auseinandersetzen, seinen Horizont erweitern und bei seiner Meinungsbildung neue Aspekte berücksichtigen. Auch dieser Abbau von Wahrnehmungsbarrieren kann als ein Bestandteil funktionierender Öffentlichkeit gesehen werden.(69)

Nachdem bis zum Ende der siebziger Jahre vor allem der Presse eine Agenda-Setting-Funktion zugesprochen wurde, hat in neuerer Zeit das Fernsehen als Vermittler gerade auch politischer Informationen diese Aufgabe übernommen. "Dem Fernsehen wird [...] die größte Glaubwürdigkeit zugeschrieben (Kiefer 1991), wenn es um die Vermittlung von Informationen geht. Durch den nationalen Charakter der Nachrichtensendungen haben diese wesentlich stärker als Lokalzeitungen ein gleichrichtendes Element."(70)

Auch wenn insbesondere seit der Medienberichterstattung über den Golfkrieg 1990/91 das Vertrauen des Zuschauers in die Glaubwürdigkeit der Bilder und somit in die gesamten Fernsehnachrichten abgenommen haben sollte, so wird dem Fernsehen unter den Medien doch weiterhin die größte Glaubwürdigkeit zugeschrieben.(71) Trotzdem wird die Berichterstattung kritischer aufgenommen als zuvor, Eigenarten der audiovisuellen Vermittlung politischer Inhalte und Botschaften werden verstärkt wahrgenommen, was m.E. zu einer größeren Skepsis gegenüber der Fernsehberichterstattung geführt hat.



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