Die Entwicklung der Fernsehlandschaft in der Bundesrepublik war seit
der Einführung des Fernsehens zu Beginn der fünfziger Jahre begleitet
von der Diskussion um die Vermittlung von Politik durch das Fernsehen,
wobei besonders das Verhältnis zwischen dem Fernsehen und den politischen
Parteien zwiespältig war - und dies nicht erst seit Noelle-Neumanns
Thesen.
Mit der "Macht der Presse" hatten sich die Parteien in der jungen
Bundesrepublik noch einigermaßen arrangieren können, wohl nicht
zuletzt, weil man in den frühen Jahren weite Teile der Presse noch
ganz in der Tradition der früheren Meinungspresse sah, in der jede
politische Position ihre festen "Sprachrohre" und Gegner hatte.
Fernsehen (und Rundfunk) waren jedoch - wie später auch die Parteien,
nachdem sie sich zu "Volksparteien" entwickelten - Institutionen,
die sich nicht an ein durch Klasse oder Schichtung definiertes Publikum
wendeten, und sie waren auch nicht eindeutig einer politischen Partei oder
Richtung zuzuordnen(62). Später wurde dem Fernsehen unter den Medien
die größte politische Relevanz zugesprochen, was es für
die Politik sowohl interessant als auch bedrohlich erscheinen ließ.
So war das öffentlich-rechtliche Fernsehen der Kritik und sehr schnell
v.a. der versuchten Einflußnahme der Parteien ausgesetzt und befand
sich in einem Spannungsfeld, das seine Auswirkungen auch auf die Politikvermittlung
zeigte.
Die Unzufriedenheit der Parteien mit der Stellung und Relevanz des öffentlich-rechtlichen
Fernsehens, auch was die Politikvermittlung betraf, war letztendlich ein
wichtiger Grund für die Zulassung privater Fernsehanbieter.
Zwischen dem Auftrag zur Information und der Furcht der Parteien vor einem zu großen Einfluß des Fernsehens auf das politische Geschehen bewegt sich eine Auseinandersetzung, die 1995 ihren vorläufigen Höhepunkt in der Forderung nach der Abschaffung der ARD fand, worauf im Kapitel 4.2.3. "Die Diskussion um den Fortbestand der ARD" noch näher eingegangen werden soll.
Im Folgenden soll die Funktion des Fernsehens als Vermittler politischer
Inhalte und als Faktor der sich wandelnden Darstellung von Politik untersucht
werden. Dies umfaßt prinzipiell sowohl die Informations- als auch
die Artikulations- und die Kritik- und Kontrollfunktion im politischen
Bereich. Im Rahmen dieser Arbeit soll jedoch primär die Informationsfunktion
untersucht werden.
Am Beispiel der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten und der kommerziellen
Privatsender(63) läßt sich die Entwicklung und Wandlung der politischen
Berichterstattung verfolgen.
Die Politikvermittlung durch das Fernsehen ist geprägt von den
technischen Voraussetzungen und der Besonderheit des Mediums, den Anforderungen
des Medienmarktes und den vermeintlichen Wünschen der Zuschauer. Diese
Kriterien sorgen für eine Berichterstattung, die vielfach auf Kritik
stößt, sowohl bei den Parteien als auch bei einzelnen Angehörigen
der (öffentlich-rechtlichen) Anstalten selbst.
Ohne sich auf das Medium Fernsehen, das sich zu diesem Zeitpunkt noch im
absoluten Versuchsstadium befand, beziehen zu können, hat der Publizist
Walter Lippmann 1922 eine Aussage getroffen, die heute mehr denn je für
die gesamte Medienlandschaft und vor allem für das Fernsehen zutrifft:
"Die Welt, mit der wir es in politischer Hinsicht zu tun haben,
liegt außer Reichweite, außer Sicht, außerhalb unseres
Geistes. Man muß sie erst erforschen, schildern und sich vorstellen
[...] Denn die reale Umgebung ist insgesamt zu groß, zu komplex und
auch zu fließend, um direkt erfaßt zu werden [...] Obgleich
wir in dieser Welt handeln müssen, müssen wir sie erst in einfacheren
Modellen rekonstruieren, ehe wir damit umgehen können."(64)
Gerade die Simplifizierung komplexer Zusammenhänge, wie sie häufig
in der Fernsehberichterstattung und hierbei vor allem in den Nachrichtensendungen
vorgenommen wird, erfährt vehemente Kritik von vielen Seiten. Das
Fernsehen vermittelt nur in geringem Maße ein Bild der realen Politik,
die durch die zähe Arbeit in Gremien, langwierige Verhandlungen und
vor allem durch die Arbeit auf der mittleren Ebene(65) gekennzeichnet ist.
Politik wird stattdessen zum größten Teil auf medienwirksame
Ereignisse verkürzt. Durch den Zwang der Visualisierung findet zudem
eine Nachrichtenauswahl statt, die sich häufig an Personen orientiert,
da diese sich zugegebenermaßen besser in Szene setzen lassen als
die alltägliche Gremienarbeit. Politik wird so personalisiert und
als Geschäft mächtiger Männer dargestellt. Das Prozeßhafte
der Politik wird bei der Vermittlung durch das Fernsehen zumeist nicht
deutlich, Zusammenhänge werden aufgelöst und durch Einzelbilder
ersetzt.(66) Die Informationsfunktion wird so in weiten Teilen nur unzureichend erfüllt. Für viele Menschen entsteht ein Bild von Staat und Regierung, das nichts oder zumindest wenig mit Demokratie zu tun hat.
Der Stellenwert von Nachrichten orientiert sich vorrangig an dem Kriterium
der Aktualität, so daß wichtige, jedoch nicht mehr unter den
Aspekt "Neuigkeit" fallende Prozesse nicht vermittelt, sondern
durch die Berichterstattung über aktuelle Katastrophen o.ä. ersetzt
werden. Auch die politische Berichterstattung scheint sich am vermeintlichen
Zuschauerinteresse orientieren zu müssen und versucht durch Abwechslung,
Prominenz der Akteure, Skurriles und den gewissen "human touch"
der Langeweile des Zuschauers vorzubeugen. Nachrichten werden dadurch zum
sogenannten "Infotainment", dessen tatsächlicher Informationsgehalt
vielen fragwürdig erscheint. Friedrich Krotz bemerkt hierzu, "daß
die Tendenz des Leitmediums Fernsehen, Nachrichten und Informationen in
einen bunten und unterhaltenden Bilderreigen aufgehen zu lassen, zum Orientierungsverlust
der Bürger maßgeblich beiträgt".(67)
Das "Leitmedium Fernsehen" prägt jedoch nicht nur das Bild
von der Politik, sondern auch die Politik selbst. "Schon die bloße
Tatsache der Berichterstattung beeinflußt ein Ergebnis, begünstigt
Ritualisierungen, Inszenierungen."(68) Inszenierungen sind vor allem
vor Wahlen zu beobachten, wenn es für die einzelnen Politiker oder
Parteien darum geht, von den Medien wahrgenommen zu werden. Aber auch im
politischen Alltagsgeschäft kommt der Medienwirkung einzelner Akteure
immer größere Bedeutung zu. Selbstdarstellungskompetenz wird
zu einem wichtigen Faktor einer politischen Laufbahn, trotz aller Ausnahmen
von dieser Regel. Der Zwang zur Selbstdarstellung führt zu einem verzerrten
Bild der Politik als Schaukampf und Schlagabtausch. Sachkompetenz wird
durch rhetorisches Können ersetzt, da dieses einen größeren
Erfolg beim Publikum erzielt als lange Erklärungen politischer Sachverhalte.
Je weniger der Zuschauer jedoch in der Lage ist, politische Zusammenhänge
und Kontinuitäten zu erkennen, desto eher wird sich auch seine eigene
Meinung auf Parolen und eindimensionale Floskeln reduzieren. Das Bild von
"denen da oben" wird maßgeblich mitgeprägt durch verkürzte,
vereinfachende Medienberichterstattung. Handlungskompetenz und politische
Mitbestimmung, wie sie für ein demokratisches System erforderlich
sind, können durch eine Berichterstattung, die im Zuschauer Resignation
und innere Distanz hervorruft, indem sie politische Prozesse nicht transparent
macht, nur schwerlich gefördert werden.
Dabei eröffnen die besonderen Qualitäten des Fernsehens, so v.a. die der Visualisierung, die neben den genannten Nachteilen auch Chancen birgt, die Möglichkeit, Themen und Ansichten zu transportieren, die zunächst nicht den Vorstellungen des Zuschauers entsprechen. Wird ein Sujet jedoch auf interessante, unterhaltsame Weise vermittelt, kann der Zuschauer sich damit auseinandersetzen, seinen Horizont erweitern und bei seiner Meinungsbildung neue Aspekte berücksichtigen. Auch dieser Abbau von Wahrnehmungsbarrieren kann als ein Bestandteil funktionierender Öffentlichkeit gesehen werden.(69)
Nachdem bis zum Ende der siebziger Jahre vor allem der Presse eine Agenda-Setting-Funktion zugesprochen wurde, hat in neuerer Zeit das Fernsehen als Vermittler gerade auch politischer Informationen diese Aufgabe übernommen. "Dem Fernsehen wird [...] die größte Glaubwürdigkeit zugeschrieben (Kiefer 1991), wenn es um die Vermittlung von Informationen geht. Durch den nationalen Charakter der Nachrichtensendungen haben diese wesentlich stärker als Lokalzeitungen ein gleichrichtendes Element."(70)
Auch wenn insbesondere seit der Medienberichterstattung über den Golfkrieg 1990/91 das Vertrauen des Zuschauers in die Glaubwürdigkeit der Bilder und somit in die gesamten Fernsehnachrichten abgenommen haben sollte, so wird dem Fernsehen unter den Medien doch weiterhin die größte Glaubwürdigkeit zugeschrieben.(71) Trotzdem wird die Berichterstattung kritischer aufgenommen als zuvor, Eigenarten der audiovisuellen Vermittlung politischer Inhalte und Botschaften werden verstärkt wahrgenommen, was m.E. zu einer größeren Skepsis gegenüber der Fernsehberichterstattung geführt hat.
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