4.2. Politikvermittlung vor und nach Einführung des dualen Systems

Bis 1984 bestand in der Bundesrepublik, was die Politikvermittlung durch das Fernsehen betraf, ein Monopol der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Mit dem Sendebeginn des ZDF am 1. April 1963 entstand eine zusätzliche Konkurrenzsituation innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems, die sich auch in der politischen Berichterstattung äußerte. Bis dahin kannte das Fernsehen lediglich die Konkurrenz der einzelnen Anstalten der ARD untereinander. Der Informations- und Bildungsauftrag galt jedoch uneingeschränkt für beide Programmveranstalter, wenn auch die Auslegung dieses Auftrags auf unterschiedliche Weise erfolgte.

Die Entwicklung des Rundfunks in der Bundesrepublik wurde nach 1945 zunächst von den Vorstellungen der Alliierten bestimmt. Nie wieder sollte eine politische Einflußnahme des Rundfunks, wie sie das Dritte Reich hervorgebracht hatte, möglich sein. Aus diesem Grund wurde die Dezentralisierung des Rundfunks vollzogen und als Organisationsmodell selbständige Anstalten des öffentlichen Rechts gewählt. Diese sollten sowohl vom Staat als auch von den politischen Parteien und den Wünschen der Werbewirtschaft unabhängig sein, wodurch sich auch das Finanzierungsmodell der öffentlich-rechtlichen Anstalten in Form einer Mischfinanzierung mit Schwerpunkt auf Gebühreneinnahmen erklärt.(72)
Die Gründung der Rundfunkanstalten vollzog sich in den Jahren 1948/49(73), wobei von jeder Rundfunkanstalt allmählich auch ein kompletter Fernsehsender aufgebaut wurde. Mit der Gründung der Bundesrepublik gab es auch in diesem Bereich eine Zäsur, während die ersten, noch unter alliierter Kontrolle errichteten Rundfunkanstalten zunächst noch weitgehend frei vom Einfluß der Politiker waren, übten in den unter alleiniger bundesdeutscher Verantwortung aufgebauten Rundfunkanstalten die Parlamente und Regierungen der betreffenden Bundesländer, also die Politiker, von Anfang an bestimmenden Einfluß auf die Kontrollorgane aus.(74) Am 26. Juli 1950 erfolgte der lose Zusammenschluß der Rundfunkhäuser zur Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD), die ihre eigentliche Bedeutung erst mit der Unterzeichnung des "Fernsehvertrags" am 27. März 1953 erhielt. Mit diesem Fernsehvertrag wurde unter anderem die Produktion eines gemeinsamen, anteilig zu produzierenden Fernsehprogramms vereinbart. Am 1. Januar 1954 startete dann das ARD-Gemeinschaftsprogramm "Deutsches Fernsehen", dessen Grundkonzeption auch heute noch unverändert gilt.
Schon 1959 gab es Pläne der damaligen Bundesregierung zur Ausstrahlung eines zweiten Fernsehprogramms durch einen kommerziellen Anbieter. Ein dementsprechender Gesetzesentwurf wurde von der Bundesregierung verabschiedet und, nachdem die Länder der Bundesregierung auf dem Fernsehsektor einen Sender des Bundesrechts verweigert hatten, die "Freies Fernsehen GmbH" mit der Produktion dieses Programms beauftragt. Der Start dieses zweiten Fernsehprogramms, das vor allem die SPD-regierten Länder als vermeintliches "Regierungsfernsehen" ablehnten, wurde 1960 durch eine einstweilige Verfügung des Bundesverfassungsgerichts gestoppt. Wenig später, am 25. Februar 1961 sprach das Bundesverfassungsgericht dem Bund endgültig die Befugnis zur Veranstaltung des zweiten Fernsehprogramms ab. Stattdessen wurde am 6. Juni 1961 der "Staatsvertrag über die Errichtung der gemeinnützigen Anstalt des öffentlichen Rechts 'Zweites Deutsches Fernsehen'" von den Ministerpräsidenten der Bundesländer unterzeichnet.(75)
Bis zum Kabelpilotprojekt Ludwigshafen im Jahre 1984 wurde das Fernsehprogramm von den beiden Anbietern ARD und ZDF bestritten.(76) In diesen Jahren wurden Sendeformen geprägt, die vor allem auch auf dem Gebiet der Politikvermittlung die Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen der Zuschauer mitbestimmten.

4.2.1. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten und der Informationsauftrag

"Charakteristisch für das öffentlich-rechtliche Modell ist, daß in Gesetzen und Staatsverträgen Leitgrundsätze für den Inhalt des Programms verbindlich gemacht werden. Programmausgewogenheit, Überparteilichkeit und Neutralität sind - neben einer Reihe weiterer Programmgrundsätze - die zentralen Bestimmungen, die die Rundfunkanstalten zu beachten haben."(77) Aus diesen Bestimmungen entwickelte sich das Ordnungsmodell der Binnenpluralität, demzufolge die einzelnen Anstalten für die Meinungsvielfalt in ihrem Programm zu sorgen haben. Von politischer Seite wurde häufig sogar die Ausgewogenheit einzelner Sendungen gefordert, wozu Franz Alt äußerte: "Ausgewogenheit ist sicher eine wichtige Voraussetzung für Journalismus einer öffentlich- rechtlichen Anstalt. Aber Ausgewogenheit in einem politischen Magazin läßt sich nicht mit der Stoppuhr herstellen. Ausgewogenheit kann mit Sicherheit nicht heißen, Jesus genausoviel Sendezeit geben wie Judas."(78) Das Selbstverständnis der Anstalten läßt explizit parteiische Berichterstattung innerhalb einer Dokumentation oder einer Magazinsendung zu, wobei das Ausmaß der kritischen Berichterstattung in den Anstalten der ARD sehr unterschiedlich ist und sich auch ARD und ZDF in diesem Punkt unterscheiden. Der Bayerische Rundfunk wurde unter anderem auch dafür bekannt, daß er sich für einzelne Sendungen, die nicht seine politische Zustimmung fanden, aus dem Gemeinschaftsprogramm der ARD ausschaltete.

Ihren Informationsauftrag hinsichtlich politischer Themen erfüllen die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten auf mehreren Ebenen:

1. Durch die täglichen Nachrichtensendungen mit festem Sendeplatz
2. Durch politische Magazine und Dokumentationen
3. Durch Sondersendungen aufgrund aktueller, wichtiger Ereignisse

Die unterschiedlichen Präsentationsformen erfüllen jeweils andere Aufgaben. Während die Nachrichtensendungen zumeist nur einen allgemeinen, oberflächlichen Überblick verschaffen, wird in den Magazinsendungen versucht, Hintergründe offenzulegen und Zusammenhänge zu veranschaulichen. Die Themen- und Meinungsvielfalt der Magazinsendungen wird innerhalb der ARD teilweise durch das Rotationsprinzip hinsichtlich der redaktionellen Verantwortung erreicht, als Beispiel seien hier die 21 Uhr-Sendeplätze am Montag und Donnerstag erwähnt.(79) Politische Dokumentationen, die häufig keinen festen Sendeplatz haben, beschäftigen sich mit einem speziellen Thema und geben v.a. die Perspektive des Autors wieder. Vielfalt wird hier durch unterschiedliche Themen, aber auch durch wechselnde Autoren gewährleistet. Es muß jedoch festgestellt werden, daß bei manchen Autoren der Eindruck entstehen kann, sie hätten einen "Alleinvertretungsanspruch" bei der Vermittlung bestimmter Themen.(80) Die Sondersendungen, die zu gegebenen Anlässen ins Programm genommen werden, sind aktuelle Korrespondentenberichte, Interviews o. ä., die teilweise durch Archivmaterial ergänzt werden und die über einen sehr unterschiedlichen Informationsgehalt verfügen, der häufig unter dem Aktualitätsdruck und der daraus entstehenden mangelnden Zeit für Recherchen zu leiden hat.(81)
Eine Informationsvielfalt, die der Funktion des Fernsehens als Vermittler unterschiedlichster politischer Positionen annähernd gerecht wird, entsteht erst durch die unterschiedlichen Positionen der einzelnen Sendeanstalten und die sich ergänzenden Sendeformen. Politische Information, die ausschließlich durch Nachrichtensendungen transportiert wird, trägt nicht zu einer fundierten Meinungsbildung des Zuschauers bei, ebenso wie Binnenpluralismus innerhalb einer Sendung eher zur Verwässerung von Positionen als zur Meinungsvielfalt führt.

Das Recht des Fernsehens auf Berichterstattung, wie es in Art. 5, Abs. 1 GG verankert ist, setzt in politischer Hinsicht Unabhängigkeit voraus. Unabhängigkeit war auch eines der Ziele, die schon die Alliierten für das deutsche Rundfunksystem nach 1945 erreichen wollten. Ziel war damals jedoch nicht nur Unabhängigkeit von Bundes- und Länderregierungen, also "Staatsferne", es sollte vielmehr auch verhindert werden, "daß eine durch Zusammenschluß staatlicher, politischer, religiöser oder wirtschaftlicher Interessen entstehende Mehrheit die Oberhand gewinnt".(82) Das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist jedoch bestimmt von dem Versuch der politischen Parteien, auf die Berichterstattung Einfluß zu nehmen und den Bestrebungen der Anstalten, ihre Autonomie zu wahren.(83)
Die Rundfunkfreiheit wird i.A. als "dienende Freiheit" definiert, d.h., der "Rundfunk darf die öffentliche Kommunikation, deren konstituierende Bedeutung für die freiheitliche Demokratie, die offene Gesellschaft, außer Frage steht, folglich nicht behindern oder einseitig steuern. Er hat vielmehr sicherzustellen, daß durch Vermittlung von Informationen und Ansichten der freie Diskurs über die vernünftigste Gestaltung von Gegenwart und Zukunft dauerhaft ermöglicht und daß das Interesse der Mehrheit an den Sorgen der Minderheit(en) und das Interesse der Minderheiten an den Überzeugungen der Mehrheit wach bleibt."(84) Diese "dienende" Funktion der Rundfunkanstalten scheint von manchen Politikern jedoch falsch verstanden zu werden, wenn sie sich über die kritische Berichterstattung beklagen und Neutralität verlangen. In den meisten Fällen wird der Ruf nach Ausgewogenheit und Neutralität jedoch nur laut, wenn sie selbst und nicht der politische Gegner angegriffen werden.
Die größte Einflußnahme der Parteien auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erfolgt über die Rundfunk- und Verwaltungsräte und über die Finanzpolitik. Der praktizierte Parteienproporz bei der Personalbesetzung in den Anstalten, der teilweise schon groteske Züge annimmt, ermöglicht den Parteien eine Einflußnahme auf das Programm, die sich auch auf die Art und Weise der politischen Berichterstattung auswirkt. Nicht ohne Grund gelten manche Anstalten eher als SPD-, andere als CDU-, eine als CSU-orientiert.

Vor allem seit der Einführung des dualen Systems übt die Bundesregierung immer wieder Kritik an der Gebührenfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Über Entscheidungen zur Gebührenfestsetzung wurde und wird Rundfunkpolitik betrieben und versucht, Einfluß auf die Programmgestaltung zu nehmen. Daran ändert sich auch nichts, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 1994 das bisherige Verfahren zur Gebührenfestsetzung als teilweise verfassungswidrig bemängelt hat.(85) Die Vertreter der Staatskanzleien in der "Kommission für die Ermittlung des Finanzbedarfs" (KEF) wurden daraufhin zwar durch "Sachverständige" ersetzt (die allerdings noch immer von den Ländern benannt werden)(86), das politische Druckmittel bleibt allerdings weiter erhalten. So werden sich die Länder bei der Ausgestaltung eines Staatsvertrages für die KEF das Benennungsrecht für die Mitglieder nicht nehmen lassen, denn dieses Benennungsrecht stellt in der Gebührenfrage ihre letzte Einflußmöglichkeit dar, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Länder bei der Bewilligung von Gebührenerhöhungen weitgehend an das Prüfungsergebnis der Kommission gebunden hat.(87) Die dem 10. Bericht der KEF im Frühjahr 1995 vorausgehenden Äußerungen von Politikern machten klar, daß gleichzeitig die Versuchung, auf die Arbeit der Kommission Einfluß zu nehmen, stärker wird.(88) Mit der Indexierung (zumindest eines größeren Teiles) des Finanzbedarfs, also der regelmäßigen Anpassung an allgemeine Kostensteigerungsraten und speziell medienspezifische Kostensteigerungen nach einem einmal festgelegten Verfahren ist deshalb auch nicht zu rechnen.(89) Sie würde zwar eine recht objektive Gebührenfeststellung ermöglichen und das Finanzgebahren der öffentlich-rechtlichen Anstalten an die Preisentwicklung des freien Medienmarktes binden, würde aber den Landesregierungen das Druckmittel der Gebührenfeststellung vollständig aus der Hand nehmen.(90)

Seit der Zulassung privater Fernsehanbieter befindet sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in einer Konkurrenzsituation, die auch Auswirkungen auf die Politikvermittlung hat. Auf die Legitimation der Gebührenfinanzierung von ARD und ZDF, die sich v.a. auch durch deren Informations- und Bildungsauftrag begründet, soll im Kapitel "Die Diskussion um den Fortbestand der ARD" noch näher eingegangen werden.



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