Die Einführung des privaten Fernsehens brachte eine Veränderung
des Programmangebots mit sich: Die Zahl der unterhaltenden Sendeformen
wie etwa Spielfilme und Game-Shows hat erheblich zugenommen. Es bleibt
die Frage, inwieweit sich auch das politische Informationsangebot gesteigert
hat. In der Präambel des Staatsvertrages zur
Neuordnung des Rundfunkwesens vom 12. März 1987 heißt es: "Dieser
Staatsvertrag enthält Regelungen für den öffentlich-rechtlichen
und den privaten Rundfunk in einem dualen Rundfunksystem. Mit der Vermehrung
des elektronischen Medienangebots sollen Informationsvielfalt und kulturelles
Angebot im deutschsprachigen Raum verstärkt werden."(91) Die
Realisation dieses programmatischen Anspruchs hätte bedeutet, daß
die privaten Fernsehsender auch ohne dezidierten Auftrag eine den öffentlich-rechtlichen
Anstalten gleichrangige politische Berichterstattung betreiben würden.
Ein Blick in eine beliebige Programmzeitschrift zeigt jedoch, daß
Politik im kommerziellen Fernsehen meist nur marginal behandelt wird und
nicht annähernd an die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen
Sender heranreicht.(92) Im dualen Rundfunksystem finden die öffentlich-rechtlichen
Anstalten also auch durch die Defizite der Privatsender hinsichtlich des
Informations- und Bildungsangebots eine Legitimation.
Durch die Konkurrenzsituation hat sich das allgemeine Bild der Politikvermittlung
im Fernsehen veränderte. Während die Magazinsendungen der öffentlich-rechtlichen
Sender schon in ihrer Namensgebung eine am Hintergrundbericht orientierte
Zielsetzung verdeutlichen ("Panorama", "Monitor", "Report"),
so zeigen die Titel der Politmagazine der kommerziellen Anbieter wie etwa
"Explosiv" oder "Akut" ein anderes Selbstverständnis
von politischer Berichterstattung.(93) "Nicht mehr kontrollierende
publizistische Kraft wird da signalisiert, sondern die Rolle als blitzschneller
Überbringer von aufregenden Nachrichten aus einer unkontrollierbaren
Welt."(94) Politik wird hier nicht mehr transparent gemacht, sondern
in einem Sammelsurium von Höhepunkten dargeboten, die nicht mehr zur
Meinungsbildung des Zuschauers beitragen. Der Unterhaltungsaspekt steht
im kommerziellen Fernsehen auch im Informationsbereich an erster Stelle,
bezeichnenderweise wird dies als "Publikumsrelevanz" definiert.
Wegen der Werbekunden darf dem Zuschauer auch bei Nachrichtensendungen
keine Möglichkeit zum Ab- oder Umschalten gegeben werden, wodurch
für längere Ausführungen und Hintergrundinformationen vermeintlich
kein Raum bleibt. Die Konsequenz daraus sind immer kürzere Beiträge,
die durch aufregende Bilder oder emotional anrührende Themen den Zuschauer
fesseln sollen.(95) In den meisten Fällen scheinen sich die Orientierung
am Markterfolg und publizistische Qualität schwer vereinbaren zu lassen.
Allgemein läßt sich sowohl bei den Nachrichtensendungen als
auch bei den Magazinen der öffentlich-rechtlichen Anstalten eine Tendenz
zur Erhöhung unterhaltender Bestandteile feststellen, so ist z.B.
der Abschluß der Tagesthemen mit einer Anekdote schon zum regelrechten
Kult mit eigener Buchfassung geworden. Auch wird von den öffentlich-rechtlichen
Anstalten - mehr oder weniger erfolgreich - versucht, mit neuen Sendeformen
den Spagat zwischen Unterhaltung und seriöser Information zu schaffen.
Als Beispiel sei auf die bereits kurz erwähnte Sendung "Frontal"
des ZDF oder auch "ZAK" in der ARD hingewiesen, sowie die beiden
öffentlich-rechtlichen Nachtmagazine, die neben der politischen Information
verstärkt kulturelle und rein unterhaltende Aspekte berücksichtigen
und sich in ihrer Präsentation von den üblichen Nachrichtensendungen
unterscheiden.
Eine interessante Neuerung durch die Privatsender sind die Magazine, die schon in ihrem Titel die Namen angesehener Printmedien tragen, wie etwa "Spiegel TV" auf SAT 1, "stern TV" auf RTL, "S-Zett" oder "Die Zeit TV" auf Vox. Die durch höhere Qualität schon früh aus dem allgemeinen Informationsangebot der kommerziellen Sender hervorstechenden Sendungen vermitteln schon durch die vertrauten Namen Seriosität, der sie umgekehrt auch in den Fernsehmagazinen gerecht werden müssen, um dem Renommee des jeweiligen Blattes nicht zu schaden.
Insgesamt läßt sich jedoch sagen, daß der Anspruch an eine erweiterte Programmvielfalt durch die Einführung des dualen Rundfunksystem, wie er in der oben zitierten Präambel des Staatsvertrags formuliert wurde, für den Bereich der politischen Information bisher nicht eingelöst wurde. Es hat sich gezeigt, daß durch die Konkurrenzsituation zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern sowohl einige neue Präsentationsformen entstanden sind, was in mancher Hinsicht zu begrüßen ist, als auch eine m.E. größtenteils negative Entwicklung der Berichterstattung hin zum sogenannten "Infotainment" stattgefunden hat. Auch wenn es generell nicht abzulehnen ist, daß die Präsentation politischer Sendungen ansprechender und interessanter wird und damit auch eine Unterhaltungsfunktion erfüllt, so darf es doch nicht darum gehen, Nachrichten nur noch unter ihrem Unterhaltungsaspekt zu beurteilen, bzw. Nachrichten nur noch in unterhaltsamer Form zu verpacken. Die meisten politischen Ereignisse sind nun einmal nicht amüsant oder spannend und der Sensationsjournalismus, der zum Teil auch im Fernsehbereich anzutreffen ist, zeichnet ein pervertiertes Bild der Situation, wenn er Kriege und Skandale unter ihrem Unterhaltungsaspekt vermarktet. Wenn die gesamte, durch das Fernsehen vermittelte Sicht der Welt nur noch der Unterhaltung dient, trifft die Klage von der "Desinformation des Zuschauers" zu. Nachrichten ermöglichen dann nicht mehr, komplexe Zusammenhänge zu durchschauen und Handlungskompetenz zu entwickeln, sondern erzeugen nur noch ein wohliges Gruseln, so daß der Einzelne distanziert bleibt und keine Möglichkeit sieht, sich unmittelbar am politischen Prozeß zu beteiligen. Die Aufgabe gerade der öffentlich- rechtlichen Politikvermittlung müßte deshalb sein, der negativen Tendenz zur völligen Vereinfachung und Fiktionalisierung politischer Information im Fernsehen entgegenzuwirken und bewußte Kontraste zu setzen, was in einigen Sendungen glücklicherweise noch immer gelingt.
Im Verlauf des Jahres 1995 wurde eine medienpolitische Debatte geführt, die weit über das bis dahin bekannte Maß hinausging und häufig nicht mehr zwischen rationalen Argumenten und rhetorischer "Schaumschlägerei" unterschied. Entzündet hatte sich der Streit an einem satirischen Beitrag des ARD-Magazins Monitor, von dem sich Helmut Kohl derart angegriffen fühlte, daß er in einem offenen Brief an den Münchner ARD-Vorsitzenden Albert Scharf äußerte, "den 'Fortbestand der ARD' vermöge er 'dem Bürger, der gezwungen ist, für den Bestand der ARD Gebühren zu zahlen, nicht zu vermitteln'."(96) Auf diese eher spontane Unmutsäußerung folgte ein Papier der Ministerpräsidenten Stoiber und Biedenkopf, das in 16 Thesen eine Anklage gegen die ARD formulierte.(97) Die Hauptkritikpunkte darin lauteten:
- Die ARD erhält zu viele Gebühren, das ZDF zu wenige.
- Die ARD ist zu einem Konzern unter Führung des WDR geworden.
- Das Programmangebot der ARD ist größer, als es die gesetzlich festgeschriebene Grundversorgung verlangt und dadurch auch zu teuer.
Die Kritik gipfelte in der Feststellung, ein "zweites nationales
Vollprogramm neben dem des ZDF"(98) sei überflüssig.(99) An
diesem Thesenpapier erhitzten sich verständlicherweise die Gemüter,
was eine Diskussion entfachte, die von den Medien ausführlich dokumentiert
wurde.(100) Dabei bestand kein Zweifel daran, daß vor allem die ARD reformbedürftig
wäre und man sich über die genaue Ausgestaltung der Reform sachlich
auseinandersetzen müßte. Von Seiten der CDU/CSU wurde dabei
geflissentlich übergangen, daß zur Gewährleistung der Informationsvielfalt
eine Stützung der öffentlich-rechtlichen Anstalten erforderlich
wäre, um der sich abzeichnenden Konzentration der Privatsender ein
reelles Gegengewicht gegenüberstellen zu können. Da die Kontrollinstrumente
bezüglich des Privatfernsehens versagt haben, wird der kommerzielle
Sektor des Fernsehens heute von wenigen Medienkonzernen wie Kirch, CLT
und Bertelsmann bestimmt. Statt einer Forderung nach Abschaffung der ARD
wäre die Förderung wirkungsvollerer Kontrollinstrumente für
das Privatfernsehen wohl dringlicher und vernünftiger gewesen.(101)
Die CDU-Forderung wäre zudem eigentlich obsolet gewesen, da der Bestand
der ARD durch die Urteilssprechung des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar
1994 gewährleistet ist und auch das Verbot ausgesprochen wurde, die
Gebührenfestsetzung "zu Zwecken der Programmlenkung oder der
Medienpolitik, namentlich im dualen System"(102), einzusetzen. Wie
bereits am Ende des Kapitels "Die öffentlich-rechtlichen Anstalten und der Informationsauftrag" ausführlich dargestellt,
versuchen die Parteien v.a. in Gestalt der Länderregierungen immer
wieder über die Gebührenfestsetzung Einfluß auf die Programmgestaltung
der öffentlich-rechtlichen Sender zu nehmen, vor allem hinsichtlich
der Politikvermittlung. Freie journalistische Berichterstattung, Kritik
oder gar politische Satire werden vor diesem Hintergrund erschwert.
Die Überlegung, die ARD zu einem Minderheitenprogramm für kulturell und politisch Interessierte umzufunktionieren, ist aus den am Ende des letzten Kapitels genannten Gründen sehr bedenklich. Sie vermittelt gleichzeitig einen Eindruck von den Vorstellungen mancher Politiker über die Funktionen des Rundfunks. In dem Thesenpapier von Stoiber und Biedenkopf wird darauf hingewiesen, daß der ARD "erneut die Rolle einer dienenden Organisation zuzuweisen"(103) sei. Nähere Angaben zur Definition des Attributs "dienend" werden nicht gemacht, doch auch so wird deutlich, worum es in der Auseinandersetzung eigentlich geht. Nachdem auch die Einführung des Privatfernsehens die Rolle der öffentlich-rechtlichen Sender als audiovisuelle Leitmedien der Politikvermittlung nicht in dem Maße erschütterte, wie von einigen erhofft, soll der Kompetenzbereich und auch die Legitimität, insbesondere der von den Unionsparteien ungeliebten ARD auf diesem Gebiet durch eine Diskussion um Gebühren, Sparmaßnahmen und Erforderlichkeit des generellen Bestandes der Sendergemeinschaft in Frage gestellt werden. Das duale Rundfunksystem bundesrepublikanischen Zuschnitts erfüllt die ihm zugedachten Funktionen jedoch erst durch den gleichzeitigen Bestand von öffentlich-rechtlichem Rundfunk (in seiner momentanen Ausprägung) und Privatsendern (die ja ausdrücklich vom gesetzlich festgeschriebenen Bildungs- und Informationsauftrag entbunden sind und nur sehr allgemeine Bestimmungen zu erfüllen haben, über die sie auch nicht hinausgehen). Damit ist die Legitimation des dualen Rundfunksystems an den parallelen Fortbestand der beiden Rundfunksysteme gebunden.(104)
Ob das Fernsehen nun über großen politischen Einfluß verfügt oder nicht, es ist in unserer Gesellschaft in jedem Fall ein "Leitmedium" mit äußerst hoher Verbreitung. Wenn die Möglichkeit des Rezipienten dieses Medium zur Information und politischen Bildung zu nutzen, marginalisiert wird, verliert es jegliche aktive politische Relevanz und wird zur Unterhaltungs-, vielleicht auch zur "Ablenkungsmaschine". Mag eine solche Vorstellung auch einigen Politikern gefallen, weil sie viel bequemer ist als eine tägliche öffentliche Diskussion, so steht sie doch den Vorstellungen von Demokratie in einer westlichen Industrie- und damit Massengesellschaft, sei diese im Begriff sich zu fragmentieren oder nicht, diametral entgegen. Ziel der Politik in einer solchen demokratischen Gesellschaft muß eine seriöse und informative Programmgestaltung in den Medien sein, weswegen in der Bundesrepublik einmal mit Bedacht das Modell des unabhängigen, der Öffentlichkeit verpflichteten Rundfunks gewählt wurde, der von "allen gesellschaftlich relevanten Gruppen" kontrolliert werden sollte.
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