Nach einer im Januar 1994 in der Zeitschrift FOCUS veröffentlichten Umfrage(148) wären 20 Prozent der Deutschen bereit,
zusätzlich zu den Rundfunk- und Kabelgebühren Geld für weitere Fernsehdienste auszugeben, das Gros allerdings weniger als 20 DM im Monat. Knapp 5 Prozent würden dafür zwischen 21 und 50 DM bezahlen, 0,8 Prozent wären sogar bereit, bis zu 100 DM pro Monat auszugeben.(149)
Aber auch die Anzahl der Pay-TV-Kanäle wird sich - wie bereits erwähnt -
neben der Finanzierung durch die Zuschauer an dem sendefähigen Material orientieren (das die Zuschauer auch interessiert und für das sie bereit sind, direkt Geld auszugeben).
In Amerika hat sich das zuschauerfinanzierte Abonnementfernsehen in den Kabelnetzen schon weitestgehend etabliert. Neben einem Basisdienst, der - werbefinanziert - allen an das Kabelnetz angeschlossenen Teilnehmer zur Verfügung steht, gibt es zusätzliche Abonnementkanäle, die zumeist als Paket "dazugekauft" werden können.(150) Da die Expansionshoffnungen der Medienindustrie angesichts des nicht mehr in großem Maße steigenden Werbeaufkommens im Fernsehbereich auf Pay-TV-Systemen beruhen,
und gleichzeitig, wenn man der FOCUS-Umfrage glauben darf, ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Konsumenten Interesse an diesen Systemen hat, ist parallel zur Digitalisierung der Fernsehübertragungen auch mit dem Versuch zu rechnen, weitere Pay-TV-Programme zu etablieren.
Zusätzliche Pay-TV-Angebote an den Beginn der digitalen Übertragung zu knüpfen, erscheint unter vier Gesichtspunkten besonders günstig: 1. ist mit einer Preisdegression bei den Übertragungskosten zu rechnen, 2. könnte die für Pay-TV nötige Decoderbox gleichzeitig für die Umwandlung des digitalen Signals in ein vom Fernseher darstellbares Signal sorgen, 3. können mit der digitalen Ausstrahlung die Qualitätsminderungen, die bei verschlüsselten Programmen in analoger
Technik entstehen, ausgeglichen werden und 4. ist in Deutschland mit einer Reichweite von 24,6% beim Satellitenempfang und 44,7% Haushalten, die über einen Kabelanschluß verfügen(151), bereits ein Zuschauerpotential gegeben, das eine solche Markteinführung erfolgversprechend erscheinen läßt.
Ob es sich bei den neuen Pay-TV-Programmen um einzelne Programme, ganze
Programmpakete oder Pay-per-View-Systeme handeln wird, ist dabei prinzipiell gleichgültig. Diese Entscheidung wird durch die endgültige Entwicklung der Set-Top-Box(152) fallen oder (wenn beides möglich sein wird) bei den Anbietern liegen und mit deren Erwartungen der Zuschauerakzeptanz, damit verbundenen Rechenmodellen und evtl. längerfristigen Firmenstrategien zusammenhängen. Der wesentliche Unterschied besteht lediglich in der Art der Abrechnung. Ein "Rückkanal"(153) ist dabei auch für das Pay-per-View-System nicht zwingend erforderlich, wäre jedoch sicherlich wegen der "benutzerfreundlichkeit" von Vorteil.(154)
Ein ganz anderes Pay-TV-System wäre Video on Demand (VOD). Technisch ist dies das anspruchsvollste der drei Systeme und hat nicht mehr viel mit dem zu tun, was wir heute unter Fernsehen verstehen. Hier gibt es nicht mehr einen Sender und viele Empfänger, wie dies Teil der Definition des heutigen Massenmediums Fernsehen ist, sondern hier gibt es eine "Filmbank", die, wenn sie erst in digitaler Form existiert, besser als Datenbank
bezeichnet werden sollte. Der Zuschauer wählt sich aus dem Angebot des Anbieters individuell die Sendung aus, die er sehen möchte - wann immer er dies möchte. Er bekommt "seinen" Film oder Beitrag dann individuell (und evtl. auch sofort) zugesandt.(155) Es handelt sich hier um eine individuelle Datenabfrage, also "interaktive Individualkommunikation" (mit einer Maschine). Aus diesem Grund würde dieses System, bei weiter Verbreitung, eine sehr große Zahl von Leitungen erfordern,(156) weshalb mit der Einführung von VOD noch nicht während der ersten Phase der Digitalisierung zu rechnen ist, sondern - wenn überhaupt - erst nachdem eine ausreichende Zahl von Haushalten über den Anschluß an ein Hochleistungsnetz verfügt. Es bleibt abzuwarten, welche Erfahrungen
TIME-WARNER mit seinem "Full-Service-Network"(157) derzeit in Orlando/ Florida macht. Die anderen Kabel-TV-Anbieter in den USA scheinen jedoch, zumindest vorerst, Abstand von VOD genommen zu haben.(158) Der Vorteil von VOD wäre, daß der Zuschauer bei diesem System nicht mehr von der Programmstruktur der verschiedenen Sender abhängig wäre, sondern sich, wie in einer Videothek, "seinen" Film oder Beitrag nach Belieben aussuchen könnte. Wirklich attraktiv wäre dies für die Zuschauer jedoch erst, wenn VOD auch preislich eine Alternative zu Videotheken bieten
und/oder ein attraktiveres Angebot zur Verfügung stellen würde. (Dies versucht TIME-WARNER, indem Kinofilme aus dem eigenen Haus, nachdem sie im Kino gelaufen sind, zuerst ins "Full-Service-Network" kommen, bevor sie auf Video erscheinen und danach in die normalen Kabelsysteme eingespeist werden.(159) - [Welch eine Wiederverwertung!]. VOD erfordert wegen der
Notwendigkeit, Bestellungen aufgeben zu können, auf jeden Fall einen "Rückkanal", die Telefonleitung würde für diese geringe Datenmenge jedoch ausreichen. Die Abrechnung könnte dann auf dem gleichen Weg erfolgen.
"Wenn ein VOD-Provider monatlich zehn Filme zu je drei Dollar 'verkauft', ist das ein Erfolg. Wenn es nur vier weniger werden, ist es ein Flop."(160) Bei allen bisherigen Tests in Amerika zeigte sich jedoch, daß der Bedarf der Zuschauer (zumindest beim heutigen Angebot) nicht da ist - oder noch nicht da ist. Der amerikanische Branchendienst INTERACTIVE VIDEO NEWS berichtete, die üblichen Bestellraten bei Pay-per-view würden bei einem Film alle drei Monate liegen, weshalb sich VOD (heute noch) nicht rentiert.(161)
Erfolg hat in Amerika hingegen das im Herbst 1994 gestartete Near Video on Demand-System DIRECTV von Hughes Communications. Trotz der hohen Kosten (700 US$ für den Empfängerpack, 30 US$ Monatsabo plus 3 US$ je Film) hatte dieses System nach einem halben Jahr mehr als 500.000 Käufer und Abonnenten. Aber Near Video on Demand
bietet natürlich nicht die absolute Freiheit von VOD. Der Zuschauer ist immer noch an die Vorauswahl des Senders gebunden, lediglich die Übertragungszeiten gestalten sich hier etwas flexibler, indem dasselbe Programm zeitversetzt auf mehreren Kanälen gesendet wird. Der Zuschauer kann sich bei einem solchen System dann beispielsweise aussuchen, ob er den "20 Uhr 15 - Film" wirklich um 20.15 Uhr oder lieber schon um 19.45 Uhr oder erst um 20.45 Uhr anschauen möchte. DIRECTV bietet seine Filmprogramme in 60 Kanälen im halbstündigen Abstand gestaffelt an. Mit den üblichen
Bestellpreisen von 3 US$ je Film liegt der Veranstalter deutlich unter den Preisen der meisten Pay-per-View-Kabelsysteme (4 - 5 US$ je Film). Die Bestellrate erreicht bei DIRECTV zwei Filme pro Monat.(162)
Wenn man die weiter oben zitierten Zahlen aus der FOCUS-Umfrage betrachtet, erscheint ein solches System zu diesen Preisen in Deutschland wenig erfolgversprechend. PREMIERE will allerdings in Deutschland Near Video on Demand auf drei Kanälen starten. Die Zuschauer müßten ihren Decoder dann gegen eine Set-Top-Box tauschen (das alte System soll wohl vorerst weiterlaufen).
Dieser Vorstoß von PREMIERE ist nicht besonders verwunderlich, wenn man bedenkt, daß BERTELSMANN, Canal+ und KIRCH die Hauptgesellschafter bei PREMIERE sind. Diese sind zusammen mit der DEUTSCHEN TELEKOM, VEBACOM, CLT, ARD, ZDF und RTL auch Teilhaber der MULTIMEDIA-BETRIEBSGESELLSCHAFT (MMBG), die die Vermarktung der Set-Top-Box und den administrativen und technischen Service übernehmen soll(163) und zudem drei der potentesten Kandidaten für zukünftige Fernsehkanäle in Deutschland.
Einige Pay-TV-Kanäle mit besonders attraktivem Angebot haben sicher auch ohne extremes Programmrecycling eine Chance auf dem Markt.(164) Der Erfolg von Pay-TV hängt aber auch ganz entschieden von der wirtschaftlichen Lage der Menschen ab. In wirtschaftlich ungewissen oder schlechten Zeiten werden sicher viele Menschen auf Pay-TV verzichten.
"Jeder möchte sein eigener Programmdirektor sein und nicht nur die Scheinwahl haben zwischen den sich immer weniger unterscheidenden Angeboten der verschiedenen Programmdirektoren."(165) Dies würde in letzter Konsequenz aber bedeuten, daß jeder selbst produzieren oder produzieren lassen muß. Erfolgsorientierte Programme haben immer die Tendenz zum Mainstream, selbst Spartenprogramme - diese nur innerhalb eines kleineren Spektrums. Selbst wenn in Video on Demand-Systemen alles verfilmte Material gespeichert wäre und dem Zuschauer kostengünstig zur Verfügung stehen würde, so bliebe ihm immer noch nur die Wahl aus den vorgegebenen Produktionen. Die Auswahl hätte sich lediglich vergrößert. Die Möglichkeit des Programmdirektors zu entscheiden, was produziert wird, wird dem Zuschauer auch dann verschlossen bleiben. Dazu käme noch das Problem, daß sich der Zuschauer ohne Hilfe in dem riesigen Angebot nicht zurechtfinden könnte. Eine Suchhilfe wäre also notwendig, um die jeweils interessanten Sendungen zu finden - damit hätte der Zuschauer aber einen neuen Programmdirektor, diesmal einen elektronischen.(166)
Keines dieser Modelle stellt eine wirkliche Interaktion im kommunikativen Sinn dar. Zumindest bezieht sich die Interaktivität auf einen Multi-Media-Mix, bei dem der Rückkanal der Zwei-Wege-Kommunikation noch weit hinter den Möglichkeiten des Telefons zurückbleibt. Im wesentlichen handelt es sich dabei um eine "Bestelltaste". Ein Einfluß des Zuschauers auf das Produkt ist nicht gegeben. Ihm bleibt wie bisher lediglich die Möglichkeit der Auswahl - dies allerdings in einem stark gesteigerten Ausmaß. Doch letztlich ist - wie bei der Bildqualität - keine wirkliche qualitative Verbesserung zu erwarten.
[ Weiter im Text ] | [ Zum Inhaltsverzeichnis ] | [ ralf-hecht.de ] | [ Zur Kommentarseite ] |
URL: http://www.ralf-hecht.de/magister/cmc/6-3.html |