6. Digitales Fernsehen
Bisher werden Fernsehbilder analog gesendet. Diese Übertragungsart hat immer
das "Nadelöhr" für die Zahl der Fernseh- und Rundfunkprogramme gebildet. Bei der altbekannten terrestrischen Ausstrahlung stehen dem Fernsehen nur relativ wenige Frequenzbereiche zur Verfügung. Eine deutliche Steigerung der Kapazitäten kam durch das Kabelfernsehen und schließlich durch das Satellitenfernsehen. Aber auch diese Übertragungsformen arbeiten bisher mit analoger Technik. Digital übertragene Bild- und Toninformationen lassen sich - im Gegensatz zu analog übertragenen - komprimieren, wodurch sich die Datenmengen, die übertragen werden
müssen, ganz beträchtlich verringern.(131) Dieser Effekt kann nun auf zweierlei Weise genutzt werden:
Zum einen könnte man mit einer technisch veränderten Bildqualität "an den Start" gehen, das hieße, daß das digitale Fernsehen "schwerpunktmäßig an das Bildformat 16:9 gekoppelt und seine technischen Parameter [...] so angelegt [werden], daß aus einer Eingangsstufe später über kompatible Fortentwicklung Großbildfernsehen, HDTV [High Definition Tele Vision], entstehen kann."(132)
Die andere Möglichkeit ist, die relativ schlechte Qualität des Fernsehbildes beizubehalten oder noch weiter zu senken. In Kombination mit einer "Paketübertragung" - wie heute bspw. im Internet üblich - entstünde dann Platz für eine wesentlich größere Zahl von Programmen. Die Menge der übertragbaren Programme verhält sich also umgekehrt proportional zu deren Bild- und Tonqualität.(133)
Neben diesen technischen Aspekten kann die Digitalisierung aber auch zu inhaltlichen Veränderungen bei den betroffenen Medien führen. In der Fotografie führte die Digitalisierung bspw. dazu, daß Bildmanipulationen in hoher Qualität nicht mehr nur durch Experten zu "leisten" sind, sondern inzwischen von jedem Anwender mit einiger Übung an einem durchschnittlichen Heimcomputer durchgeführt werden können. Bei Bewegtbildern, also Filmen jeder Art, stellt sich die Situation im Moment noch etwas anders dar, da hier für Manipulationen in hoher Qualität noch
äußerst leistungsstarke Rechner erforderlich sind. Kinofilme wie "Jurassic Park" oder "Forrest Gump" haben jedoch die Möglichkeiten der Bildbearbeitung, die - bei entsprechendem Know-how und technischer Ausstattung - schon heute bestehen, aufgezeigt.(134) Die weitere Entwicklung in diesem Bereich wurde durch den Film "Toy Story" bereits vorgezeichnet. Dieser Zeichentrickfilm ist als erster Kinofilm ausschließlich im Computer entstanden.(135) Bis es zu einem Film mit real wirkenden, jedoch im Computer generierten Schauspielern kommt, wird allerdings noch einige Zeit vergehen, da dies von der technischen Umsetzung her noch wesentlich anspruchsvoller ist.(136)
Sollte dieser Schritt jedoch vollzogen werden (und nichts spricht bislang dagegen), so hätte das sicher für den gesamten Bereich von Film und Fernsehen erhebliche Folgen.(137)
6.1. 500 (oder mehr) Fernsehkanäle herkömmlicher Art?
In diesem Teil sollen die momentan in der Diskussion befindlichen "Fernsehmodelle der Zukunft" kurz vorgestellt und (bei Berücksichtigung einer hohen Zahl von Kanälen) weitergedacht werden. Im Zusammenhang mit digitalem Fernsehen fällt sehr oft das Stichwort "Interaktivität", hier soll jedoch auf einige andere, zumeist schon bestehende Szenarien eingegangen werden, wobei die Frage nach möglicherweise damit verbundener Interaktivität bei Bedarf am Rande behandelt wird.
Das prinzipielle Problem ist (wie bei allen "Vielkanal-Modellen"): Was soll gesendet werden, und wer soll es bezahlen? ("Content Gap")
Eine Vervielfachung des Programms hat noch nicht eine Vervielfachung der Werbeeinnahmen
zur Folge. Salopp formuliert: Es gibt einen von der Industrie vorgegebenen Kuchen, der unter den Fernsehveranstaltern verteilt wird - mehr Esser, kleinere Stücke.(138) Einen Fernsehkanal zu gestalten setzt aber ein Budget voraus, das nicht beliebig verkleinert werden kann. Sollten durch die neue Technik die Übertragungskosten gesenkt werden, kann das vorhandene Budget sicher für einige weitere Kanäle ausreichen. Eine Zahl von 500 Sendern im deutschsprachigen Bereich dürfte allerdings utopisch sein.
Das andere Problem ist die Frage, was gesendet werden sollte. Sicher, es gibt große
Filmarchive und die Medienbranche ist ein Traumziel für viele Berufseinsteiger (weswegen es auch zu einem Preisdumping bei unqualifiziertem Personal kommen kann). Doch Eigen- oder Auftragsproduktionen (im Filmbereich) sind ebenso wie gute Filme, deren Ausstrahlungsrechte von Filmverleihern aufgekauft werden müssen, sehr teuer (womit wir wieder beim ersten Problem wären). Bleibt also die Ausstrahlung von B-Movies und billig produzierte Serien und Studiosendungen, eine Tendenz, die schon bei der heutigen Zahl an Programmen deutlich zu erkennen ist. "Die Zwänge, die dahin führen, sind offenkundig. Ein Sendetableau mit zwei Dutzend Programmen und vielleicht fünfhundert Positionen
täglich ist nur zu füllen, indem man Meterware auslegt. Originär und individuell Erstelltes in solcher Größenordnung würde Anbieter und Abnehmer heillos überfordern. [...] Mit der Ausweitung des Angebots kann weder das Leistungsvermögen der Sendebetriebe noch das Fassungsvermögen des Publikums Schritt halten."(139)
6.2. Zielgruppen-TV
Mit den Musik-, Sport- und Nachrichtenkanälen ist diese Sparte bereits auf dem Markt vertreten. Doch zeigen die Probleme dieser drei Sparten auch die Grenzen von zielgruppenorientiertem Fernsehen auf.
Musikkanäle: Sie sind preiswert in der Produktion, da sie sich zu einem großen Teil auf die Zweitverwertung von kostenlos oder kostengünstig zur Verfügung gestelltem Material verlassen. Auch das Rahmenprogramm für die Musikclips kann ohne großen Aufwand produziert werden. So sind die Fernseh-Musikkanäle auch erst entstanden, nachdem es sich bei den Plattenfirmen durchgesetzt hatte, Musikvideos zu produzieren (ursprünglich für Musiksendungen in Vollprogrammen). Damit war der wesentliche Programmbestandteil schon finanziert. Ein reiner Musikkanal ist auch im Interesse der Plattenfirmen, bedeutet dies doch eine gute Ausweitung der PR, da sie damit ihr Zielpublikum direkt und in großem Umfang erreichen können.
Sportkanäle: Sport ist beim Publikum sicher eine äußerst beliebte Sparte. Doch haben es die Spartenkanäle hier nicht erreicht, die Übertragungsrechte für populäre Sportarten zu erwerben, was weniger an der geringen technischen Reichweite (SAT 1 hat die Fußball-Bundesliga-Übertragungsrechte und auch kaum eine größere technische Reichweite) als an den fehlenden finanziellen Mitteln liegen
dürfte. So ist das Programm in dieser Sparte meist auf die Zweit- oder Drittverwertung von Material oder auf Sportarten, bei denen keine größeren Summen für Übertragungsrechte fällig werden, beschränkt. Der Kanal EUROSPORT ist ein ganz typisches Beispiel für die Wiederverwertung von Material, da er von Fernsehanstalten der EUROPEAN BROADCASTING UNION (EBU) getragen wird, die diesen Kanal aus dem Eurovisionspool bestücken.(140)
Nachrichtenkanäle: Hier hat das Beispiel N-TV gezeigt, wie die Hoffnungen in einen Spartenkanal enttäuscht werden können. Die im CNN-Fieber nach dem Golfkrieg aufgestellten Quotenerwartungen wurden nie erreicht. Das eine Prozent bleibt weiterhin Traumziel.(141)
Auch macht N-TV deutlich, daß ein Spartenprogramm nicht gleichbedeutend mit verbesserter Information in der jeweiligen Sparte ist. "N-tv betreibt das
24stündige Nachrichtenprogramm mit einer journalistischen Minimalausstattung von insgesamt 100 Redakteuren im Dreischichtbetrieb, eigene Büros gibt es außer dem Berliner Stammsitz derzeit nur in Bonn und Frankfurt. Damit ist n-tv selbst für die deutsche Berichterstattung auf Agenturberichte angewiesen, auf Auslandskorrespondenten wird vorerst gar vollständig verzichtet, man greift auf CNN-(142) und Agenturmaterial zurück."(143) Die Tatsache, daß SAT 1 mit dem Umzug nach Berlin seine Nachrichtenabteilung vollständig auflöst und zukünftig seine Nachrichten bei N-TV einkauft(144), wird lediglich das Defizit des Nachrichtensenders verkleinern und einen weiteren Schritt bei der
Konzentration im Nachrichtensektor bedeuten.
Ebenso wie bei den Sportkanälen gibt es auch bei den Nachrichtenkanälen mit EURONEWS einen Kanal von EBU-Sendeanstalten, der das Material der EUROVISION zweitverwertet.
Durch die genannten Beispiele wird besonders deutlich, daß eine steigende Zahl von Programmen nicht zwangsläufig mit mehr (journalistischer) Vielfalt verbunden ist,
sondern auch einfach nur "more of the same" produzieren kann.
Bleibt wohl der Schluß, daß Spartenprogramme nur Chancen auf dem Fernsehmarkt haben werden, wenn durch die Digitalisierung die Übertragungskosten ganz erheblich sinken und/oder wenn das Programm eine kostengünstige Zweit- oder Drittverwertung von bereits produziertem darstellt bzw. an anderer Stelle wiederverwendet werden kann. (Wie bei CNN, das einen guten Teil seiner Gewinne aus seiner Funktion als Fernsehnachrichtenagentur
erwirtschaftet oder nun bei N-TV nach der Übernahme der Nachrichtensendungen durch SAT1.)(145)
Gleichzeitig stellen die Nachrichtenkanäle mit ihren halbstündig wiederkehrenden Nachrichten bereits eine Form des heute oft diskutierten "Near Video on Demand" dar. Darauf wird später noch zurückzukommen sein.