10. Politische Angebote - Mittel zur Schaffung von Transparenz und Einfluß?

Die Schwerpunkte und die Qualität politisch orientierter Angebote divergieren sehr stark. Da viele Angebote noch sehr neu sind und sich z.T. noch im Aufbau befinden, ist m.E. auch innerhalb bestimmter Gruppen kein Vergleich anzustreben. So sollen im Folgenden die Angebote lediglich zu Gruppen zusammengefaßt und dann gemeinsam oder stellvertretend anhand einiger Beispiele besprochen werden.

Dabei soll besonders auf die im vorigen Kapitel genannten Vorteile der neuen Publikationsmöglichkeit gegenüber herkömmlichen Medien geachtet werden. Der Aspekt der individuellen Abfrage wird im Folgenden nicht weiter erwähnt werden, da alle Angebote über das Internet verbreitet werden und so auch alle individuell abrufbar und nicht an eine feste Sendezeit gebunden sind.

10.1. Politische Institutionen

Inzwischen sind neben dem Bundestag und der Bundesregierung auch eine Reihe von Länderregierungen und zahlreiche Bundes- und Landesministerien mit Informationsangeboten im Internet vertreten.(233) Auch alle (größeren) Parteien stellen sich mittlerweile in diesem Medium dar. Neben diesen Angeboten soll in diesem Zusammenhang auch das Pilotprojekt "Abgeordnete im Internet" des FB Politische Wissenschaft der FU Berlin betrachtet werden.

Die Landesregierungen sind bemüht, ihre Angebote jeweils in ein allgemeines Landesinformationssystem einzubinden.(234) Die bestehenden Angebote dieser Informationssysteme konzentrieren sich zumeist auf die Wirtschaft und/ oder potentielle Touristen.(235) Die Angebote der Exekutive beschränken sich bisher überwiegend auf "digitalisierte Hochglanzbroschüren". Der Eindruck, daß das World Wide Web eher als Werbe- und Distributionsmedium und weniger als Informations- und Kommunikationsmedium verstanden wird, drängt sich (zumindest im Moment) auf. Auch die zumeist stark graphisch orientierte Gestaltung und der Verzicht auf eine textbasierte Alternative bestärken diesen Eindruck.(236) Für den Bürger verwendbare Angebote (wie z.B. "So kommen Sie besser mit den Behörden zurecht" der sächsischen Landesregierung) bilden die Ausnahme.

Die Angebote sind in ihrer Mehrzahl recht gut strukturiert. Eine solch unklare Gliederung wie auf der Startseite der Bundesregierung, auf der deutsche und englische Verweise einander gegenübergestellt werden, ohne daß ersichtlich wäre, ob es sich um ein zweisprachiges Angebot der gleichen Inhalte oder um unterschiedliche Angebote handelt (was letztlich der Fall ist), kommt auf der Landesebene nicht vor. Fremdsprachige Informationen werden in diesem internationalen Medium von den Landesregierungen bisher nur äußerst selten angeboten.(237) Die zum Teil gegebene Möglichkeit, das Angebot durch eine Suchanfrage oder einen Gesamtindex nach Stichworten zu durchsuchen, weiteres Informationsmaterial zu bestellen oder von der jeweiligen Pressestelle veröffentlichte Nachrichten einzusehen, ist als Positivpunkt zu betrachten, da sie der Information des Bürgers dient.(238) Daß "nachgeordnete Dienststellen" bisher kaum in das Angebot integriert wurden, mag (hoffentlich) daran liegen, daß sich die Systeme noch im Aufbau befinden.

Das weitgehende Fehlen von themenbezogenen Informationen und Interaktionsmöglichkeiten (oftmals sind nicht einmal die Ministerien als Ganze über e-mail zu erreichen) macht Politik für den Bürger weder transparenter oder die Beschäftigung mit politischen Themen attraktiver, noch trägt es zu einer stärkeren Einbeziehung der Bürger in politische Prozesse bei.

Daß das Internet-Angebot einer politischen Institution - auch bereits in der Pilotphase - ambitionierter sein kann, macht das Angebot des Deutschen Bundestages, verstärkt durch das des Pilotprojekts "Abgeordnete im Internet" deutlich.(239) Das Angebot des Bundestages ist schon heute relativ breit angelegt. Es werden Informationen zu allen Abgeordneten angeboten - neben biographischen und Wahlkreisinformationen auch die veröffentlichungspflichtigen Angaben der Abgeordneten und ihre Zugehörigkeit zu Gremien und Ausschüssen des Bundestages. Auch Informationen über diese Gremien werden zur Verfügung gestellt, befinden sich allerdings zumeist noch im Aufbau. Eine Rubrik "Im Blickpunkt" behandelt jeweils ein aktuelles Thema, während sich unter "Aktuelles" Pressemeldungen, Tagesordnungen und Protokolle der Plenarsitzungen finden.(240) In der Rubrik "Heute im Bundestag" wird über Unterrichtungen, kleine und große Anfragen und ähnliches berichtet. Außerdem steht noch eine "Infothek" mit einer Auflistung der bekannten Informationsmaterialien zur Verfügung, von denen ein Teil auch direkt bestellt werden kann. Dem Benutzer wird schließlich noch eine Stichwortsuche angeboten, die eine recht sinnvolle Ergänzung durch das "A-Z der Parlamentsbegriffe" findet.
Als Möglichkeit zur Interaktion steht bisher lediglich der "Briefkasten" zur Verfügung, über den der Benutzer jede Stelle des Bundestages anschreiben kann.(241) Leider wird von keiner Stelle aus auf Angebote "außerhalb" des Bundestages verwiesen, obwohl Möglichkeiten gegeben wären, bspw. auf das Pilotprojekt "Abgeordnete im Internet" oder aber auf die im Netz vertretenen Staatskanzleien zu verweisen (eine Übersicht über die "Ministerpräsidenten der Länder" liegt vor und würde sich hierfür anbieten.) Lediglich die im Bundestag vertretenen Fraktionen (bzw. die Gruppe) sind in das System eingebunden. Ihre Informationsangebote spiegeln von der Qualität her weitestgehend die der jeweiligen Bundespartei wider. Neben der Nutzung als Werbeträger, angefüllt mit hinreichend bekannten Argumentationslinien der Partei (z.B. "liberale Argumente") oder mit graphischen Feinheiten, die denen einer Wahlkampfbroschüre nicht unähnlich sind(242), werden hier auch ansonsten für den Bürger schwer zugängliche Informationen bereitgestellt (die Bundestagsfraktion der SPD veröffentlicht neben ihren Fraktionsinformationen z.B. auch die Bundestagsdrucksachen) und so wiederum Grundlagen für politische Diskussionen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Dem entspricht auch der allgemeine Eindruck, daß das Angebot des Bundestages im Internet bisher als öffentlich zugängliches Informationsangebot verstanden wird, das einen leichteren Zugang zu bestehenden Informationsquellen gewährleisten soll. Der Gedanke der vernetzten und verteilten Informationsbereitstellung wird dabei (noch) nicht umgesetzt. Trotzdem ist das Angebot m.E. als durchaus positiv zu bewerten, zum einen, weil es weitgehend inhaltsorientiert ist und nicht, wie bspw. bei den meisten im Netz vertretenen Ministerien wie eine PR-Maßnahme wirkt, zum anderen weil zu verfolgen ist, wie das Angebot ausgebaut wird. Außerdem eignet sich dieses Angebot m.E. gut als Basis für andere politische Angebote im Netz.(243)
Schließlich wird durch dieses Angebot zumindest ein guter Teil der täglichen Arbeit der Abgeordneten für den Benutzer transparent gemacht(244), ein Punkt der bei der Untersuchung der Politikvermittlung im Fernsehen als dort nicht transportierbar festgestellt wurde. In gleicher Weise positiv ist das (ausbaufähige) "Bundestagsspiel Gesetzgebung" zu sehen, bei dem versucht wird, politisches Wissen spielerisch zu vermitteln und Interesse an Politik zu wecken.(245)

Eine besonders gute Ergänzung zu dem Informationsangebot des Bundestages bildet das Pilotprojekt "Abgeordnete im Internet". Daran nimmt jeweils eine Abgeordnete bzw. ein Abgeordneter(246) von jeder der im Bundestag vertretenen Parteien teil, die, von den Studierenden unterstützt, eigene Informationsangebote bereitstellen. Auch hier sind wieder starke Unterschiede zu beobachten. "Während im Extremfall die Seiten schon bei der Erstellung vom Umfang und Inhalt her sehr 'dünn' waren"(247) und seitdem nur in geringem Umfang erweitert wurden, haben andere ihre Angebote nicht nur stark erweitert, sondern dabei auch die Möglichkeiten des neuen Mediums (in diesem Fall v.a. des Hypertext) geschickt genutzt.(248)
Neben diesen Seiten der Abgeordneten werden auch allgemeine Informationen über den Bundestag angeboten und als zusätzliches Informationsangebot die "woche im bundestag" (wib) jeweils kurz nach Erscheinen im Internet bereitgestellt (und auch archiviert). Außerdem werden neue Möglichkeiten der interaktiven Kommunikation innerhalb dieses Projektes erprobt. So fanden seit dem 6.12.1995 zehn "Online-Diskussionen" mit Bundestagsabgeordneten statt. Obwohl es "in der Praxis eher auf eine Art 'Fragestunde' mit dem/ der Abgeordneten"(249) hinausläuft, bietet dieses Angebot doch die Möglichkeit direkter Kommunikation mit den Abgeordneten. Die Diskussionen werden mindestens eine Woche im voraus angekündigt und in der Regel durch ein Thesenpapier oder einen einführenden Text des Abgeordneten vorbereitet. Da die Diskussion zwar zeitlich, nicht aber örtlich gebunden ist, durch die fehlende körperliche Präsenz nicht so leicht von einzelnen Personen dominiert wird und auch die sonst eher seltene Gelegenheit bietet, mit Abgeordneten aus anderen Wahlkreisen über ein Thema zu sprechen, bei dem diese auch kompetent sind, stellt diese Form der Diskussion m.E. eine gute Ergänzung zu bisherigen Formen der Kommunikation mit Abgeordneten dar. Und auch für Menschen, die nicht an der Diskussion direkt teilgenommen haben, bietet die Möglichkeit, die Protokolle im nachhinein zu lesen eine unkommentierte Informationsquelle, die so bisher nicht zugänglich war.

Insbesondere Kommunikationsanwendungen dieser Art stellen m.E. einen Fortschritt dar, bei dem "Bürgernähe" nicht nur ein Schlagwort bleibt. Auch wenn es sicher dem Abgeordneten überlassen bleibt, welche Schlußfolgerungen er aus diesen Gesprächen zieht, besteht hier für den Bürger die Möglichkeit nachzufragen und auch Argumente in die politische Diskussion einzubringen.(250)

Bisher sind die Angebote der politischen Institutionen weitestgehend auf eine "Top-Down-Nutzung" ausgelegt. Die Politiker können bisher anscheinend kaum den durch das Medium gegebenen fast unbeschränkten Möglichkeiten der Selbstdarstellung widerstehen. Dadurch wird allerdings auch hier symbolische Politik betrieben. Für eine demokratische Informations- und Diskussionskultur wäre eine Stärkung der Interaktionsmöglichkeiten und eine bessere horizontale Verbindung der Besucher untereinander wünschenswert. Daß Parteien und Politiker auf ihren Seiten Selbstdarstellung betreiben wollen, ist verständlich, und prinzipiell ist dagegen wohl auch kaum etwas einzuwenden. Wenn die Möglichkeiten des neuen Mediums allerdings nicht auf die einfache Distribution beschränkt werden sollen (in diesem Fall quasi als Parteisender), wäre neben einer verstärkten Interaktion z.B. auch die Einbindung der Angebote in die vernetzte Struktur des Internet notwendig.(251)

Im Moment werden mehr oder weniger ausführliche Nachrichten bereitgestellt. Diese werden jedoch erst durch die kritische Betrachtung, die Gegenüberstellung unterschiedlicher Positionen und durch den Diskurs für den Benutzer zu wirklichen Informationen. Die Beiträge der Parteien lassen, positiv formuliert, in dieser Hinsicht noch viel Raum für Verbesserungen.



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