5. Interaktivität im Fernsehen
Neben der Informationsfunktion fällt den Medien im politischen
Bereich v.a. auch die Artikulations- und die Kritik- und Kontrollfunktion zu. Während die letzte der genannten Funktionen vornehmlich auf eigenen Beobachtungen, Recherchen und Abwägungen der Journalisten beruht, gibt es vielfältige, oft verschlungene Pfade, wie Programmacher Wünsche, Interessen und Sorgen der Zuschauer zu recherchieren versuchen, um diese dann zu artikulieren. Prinzipiell ist auch die Möglichkeit, daß Zuschauer direkt ins Programmgeschehen eingreifen, denkbar. Mit dieser Idee einer ungefilterten "kommunikativen Partizipation" soll sich das folgende Kapitel
befassen.
Betrachtet man die eingangs erstellten Definitionen von Interaktivität und bezieht diese auf das Fernsehen, so wird man nach der weiten Definition zu dem Schluß kommen, daß das Fernsehen seit seiner Einführung "interaktiv" gewesen ist, da der Empfänger einen Schalter hat, mit dem das Gerät an- und auch ausgeschaltet werden kann. Mit der Einführung eines zweiten Fernsehkanals nahmen die "interaktiven" Möglichkeiten des Zuschauers enorm zu, denn nun konnte er auch mit dem eingeschalteten Gerät "interagieren": Er konnte das Programm wechseln. Bis heute hat sich diese Form der "Interaktion" enorm gesteigert, denn wer über einen Kabel- oder Satellitenanschluß
verfügt, kann zwischen einer Vielzahl von Programmen wählen. Trotzdem wurde bisher nie von einem "interaktiven Fernsehen" gesprochen, was also eigentlich nur bedeuten kann, daß das interaktive Fernsehen der Zukunft eine qualitative Steigerung der Interaktion bedeutet und nicht nur aus der Wahl des Verbrauchers fernsehen oder nicht fernsehen, bzw. der Auswahl aus vorgegebenen Möglichkeiten besteht.
Nach der engen Definition wäre "interaktives Fernsehen" gegeben, wenn der Zuschauer ohne Vorgabe permanent bestimmen könnte, wie sich das Programm
entwickelt. Dies wäre theoretisch (wenn auch nur für einzelne Zuschauer) denkbar, wenn der Zuschauer als gleichberechtigter Partner an einer Diskussionsrunde teilnehmen könnte oder wenn er seinem Fernseher erzählen könnte, wie er sich im Moment den Fortgang der Handlung eines Films vorstellt und dies eine Szene später nach Belieben wieder ändern könnte, usw. usf.
Wird der Zuschauer, der "Verbraucher", also in Zukunft kein
solcher mehr sein? Wird er auf Sendungen Einfluß nehmen oder sie gar selbst gestalten können? Wird er nach seinem und nicht nach dem Gutdünken einer Redaktion aus der Flut von Nachrichten und Berichten seine Informationen selbst zusammenstellen können? Wird das interaktive Fernsehen den Zuschauer zum "Mitspieler" machen oder weiterhin nur immer mehr zum Kandidaten?
Um diesen Fragen nachzugehen, soll ein Blick auf die Geschichte der Interaktivität des Fernsehens geworfen werden, wobei auf Fernseh-Unterhaltung einzugehen sein wird. Dies soll nicht so sehr wegen der unbestreitbaren politischen Bedeutung derselben geschehen, sondern vielmehr, weil sich Unterhaltungsprogramme offenbar wesentlich offener für technische Neuerungen und Versuche zeigen als "seriöser Journalismus". Anders formuliert: Unterhaltung scheint das Experimentierfeld für technische Neuerungen im Fernsehjournalismus zu bilden.
5.1. Einige Beispiele für die Entwicklung von Interaktivität in der Geschichte des deutschen Fernsehens
In den ersten Jahren des deutschen Fernsehens beschränkte sich die Kommunikation zwischen Zuschauern und Programmgestaltern auf die Zuschauerpost. "Im Programmangebot fanden sich Sendungen wie: 'Treffpunkt Fernsehen. Schreiben Sie uns, wen sie kennenlernen wollen - wir werden uns bemühen, die Bekanntschaft zu vermitteln.' (NWDR ab 11.1.1953)"(105) Es wurden "Mitrate-Krimis" ausgestrahlt, bei denen die Zuschauer, ebenfalls durch Zuschriften, den Täter ermitteln konnten. Den Schluß des Films gab es dann eine Woche später zu sehen. Allein die Rückmeldung und Beteiligung über die Zuschauerpost schien in den sechziger Jahren nicht mehr ausreichend. So wurde das
Telefon, das mittlerweile ausreichend weit verbreitet war, einbezogen. Mit der Integration des Telefons, das spontanere (Re-)Aktionen zuläßt als der Briefverkehr, wurde eine zeitgleiche Interaktion erstmals möglich.
Zu unterscheiden sind grundsätzlich zwei verschiedene Formen von interaktiven Sendungen. Zum einen die "individuelle Interaktivität" einzelner Zuschauer, die in das Fernsehgeschehen mehr oder weniger integriert werden, zum anderen eine "kollektive Interaktivität", die, demokratischen Wahlen ähnlich, eine Entscheidung des Kollektivs der Fernsehzuschauer ermöglicht.(106)
5.1.1. Individuelle Interaktion
Die meines Wissens erste interaktive Sendung (oben beschriebene Vorläufer außer acht lassend) startete am 4.12.1964 im ZDF. Lou van Burg moderierte die Sendung "Der goldene Schuß", der die Sage von Wilhelm Tell zugrunde lag. Mit "Hilfe einer Tele-Armbrust, die an einer Fernsehkamera montiert war, [und deren Zielvorrichtung im Fernsehbild zu sehen war] schossen vier Saalkandidaten und vier Fernsehzuschauer, die per Telefon zugeschaltet waren, ins Ziel - oder daneben. Das anfängliche Ziel - ein Apfel - wurde in späteren Sendungen durch eine Schießscheibe ersetzt. Der treffsicherste
Schütze errang mit einem gezielten [!] Schuß ins Schwarze die Würde des 'Tele-Tell' und einen Geldbetrag."(107)
Der Moderator Lou van Burg wurde 1967 von Vico Torriani abgelöst, der die Sendung bis 1970 fortführte. Mit der 50. Sendung "wurde die Show, die seit Jahren gute Zuschauerzahlen und schlechte Kritiken verzeichnete, mit viel Pomp und Trara zu Grabe getragen".(108)
1978 wurde das Konzept des goldenen Schusses noch einmal von der ARD in der Sendung "Der Superschuß" aufgenommen. Im Mittelpunkt des Sendekonzepts
stand hier das Elfmeterschießen mittels einer Fußballmaschine gegen einen prominenten Torwart. "Trotz der prinzipiell nicht abwegigen Idee, die beiden Publikumsmagneten Fußball und Quiz in einer Sendung zu verbinden, erntete der 'Superschuß' herbe Kritik bei Zuschauern und Fachpresse. So bezeichnete die Hörzu ihn als 'Rohrkrepierer', der Stern sprach vom 'Schuß in den Ofen'. Nach nur zwei Folgen und internen Querelen des Produktionsteams wurde die Reihe eingestellt."(109)
Thomas Gottschalk begann 1977 seine Fernsehkarriere mit der Sendung "Telespiele". "Prominente Gäste, Studiozuschauer und (per Telefon
zugeschaltete) Fernsehzuschauer hatten hier durch das Erzeugen von Geräuschen die Spielfiguren in den damals noch recht simplen Videospielen wie Ping-Pong oder Autorennen zu steuern."(110) Die zunächst in Südwest 3 gestartete Sendung wurde bald von anderen dritten Programmen übernommen und wechselte 1980 in das Abendprogramm der ARD. Sie wurde erst eingestellt, als Gottschalk die ARD verließ, um beim ZDF "Na sowas" zu
moderieren.
Gegenüber dem goldenen Schuß hatten die Telespiele wesentlich mehr Dynamik,
da zum einen die Mitspieler ihr Spielgerät nicht mehr in einem starren Raum , sondern in einem "sich bewegenden Raum" navigieren mußten. (Durch die Steuerungsmöglichkeiten blieb das Spielgeschehen allerdings auf zweidimensionale Bewegungen beschränkt.) Zum anderen konnten zwei Personen (oder Personengruppen) gegeneinander spielen - auch zwei per Telefon zugeschaltete Fernsehzuschauer, für die das Fernsehen dann quasi nur noch Vermittler für ihr gemeinsames Spiel war.
Die Sendung "Hugo" auf KABEL 1 stellt eine Wiederaufnahme dieses Sendekonzepts (mit allerdings immer nur einem Mitspieler) dar. Es ist lediglich auf den heutigen Stand der Technik gebracht worden, d.h. die Videospiele haben eine wesentlich bessere Graphik, und dank digitaler Telefontechnik ist die Spielfigur mittels der Telefontasten dreidimensional steuerbar.
Die Möglichkeit, dem Zuschauer die Wahl der Perspektive in einem Fernsehspiel zu überlassen wurde ebenfalls schon einmal in Grundzügen getestet. Am 15.12.1992 strahlten ARD und ZDF zeitgleich den Krimi "Mörderische Entscheidung - Umschalten erwünscht" aus. Dabei wurde in der ARD die Handlung aus der Sicht der Hauptdarstellerin gezeigt, während das ZDF die des männlichen Gegenparts anbot. Lange Kameraeinstellungen am Ende verschiedener Episoden sollten die Umschaltbereitschaft der Zuschauer unterstützen.(111)
Das Problem, das sich bei solchen Produktionen im Fernsehspielbereich ergibt, ist die Notwendigkeit, zwei eigenständige, aber zeitlich genau aufeinander
abgestimmte Filme zu produzieren, was mit relativ hohen Kosten verbunden ist.(112) Bei Live-Übertragungen könnte dieses Modell allerdings schon früher zum Einsatz kommen. So kam bei PREMIERE schon der Gedanke auf, zukünftig Sportler mit Minikameras auszurüsten und auf diese Weise, bspw. bei einem Fußballspiel, dem Zuschauer 8-12 Kamerapositionen anzubieten, zwischen denen er dann wählen kann.(113)
5.1.2. Kollektive Interaktion
Eine der Ideen, die hinter der ab 1969 vom ZDF ausgestrahlten Sendung "Wünsch Dir was" stand, war, nicht mehr nur einzelne Zuschauer direkt in die Sendung einzubeziehen, sondern eine Entscheidung von möglichst vielen Zuschauern treffen
zu lassen. In der von Dietmar Schönherr und Vivi Bach moderierten Sendung wurden die Zuschauer einer bestimmten Region aufgerufen, ihre Bewertung der Kandidaten oder ihre Auswahl aus vorgegebenen Möglichkeiten mittels erhöhten Wasser- oder Stromverbrauchs abzugeben. In dem betroffenen Versorgungsbetrieb wurde dann bspw. gemessen, für welchen Kandidaten/ welche Kandidatin am häufigsten die Klospülung betätigt oder für wen die Stadt am hellsten erleuchtet
wurde.(114)
Die Weiterentwicklung dieser Idee wurde 1979 auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin
vorgestellt: Der von ZDF-Technikern entwickelte "Tele-Dialog" (TED). Bald wurde das System in Sendungen wie "Wetten daß...?", "ZDF-Hitparade" oder "Ihr Wunschfilm" eingesetzt. Die nutzbare Gesamtkapazität beträgt heute 13.000 Anrufe pro Minute. TED kommt durchschnittlich zweimal die Woche zum Einsatz(115) und stellt noch immer die technische Grundlage für kollektive Interaktion dar.
5.2. Interaktive Sendungen der jüngsten Zeit
Die neuen Entwicklungen zielen vor allem auf die individuelle Interaktion ab, ein Beispiel ist die bereits erwähnte Sendung "Hugo" in der Tradition der "Telespiele", ein anderes die Sendung "SWF 3 Nachtfieber", die auf den Erfahrungen der "Piazza Virtuale" aufbaut.
Auf der zehnten Documenta 1992 in Kassel stellte die Künstlergruppe "Van Gogh
TV" ihr interaktives Projekt "Piazza Virtuale" vor, bei dem die Zuschauer das Programm selbst gestalten sollten. Es wurde ihnen ein offener Platz - eben die "Piazza Virtuale" - gegeben, den sie über Fax, Telefon und Computermodem oder an "öffentlichen Einstiegspunkten", an denen Videokameras installiert waren, nach ihren Wünschen verändern sollten. "Bis zu 130.000 Anrufsversuche pro Stunde registrierte die Telekom, von denen immer nur je vier mit ihrer Stimme auf die 'Piazza Virtuale' durften."(116)
"Die Piazza virtuale präsentierte sich dem Zuschauer als computergesteuerte Fernsehoberfläche, auf der Schrift, Bild, Video, Computeranimation, Ton und Musik gleichzeitig erscheinen konnten."(117) Von hier aus konnte der interaktive Zuschauer dann
zu verschiedenen Anwendungen weiterschalten, u.a. zu einem virtuellen Orchester, in ein Kaffeehaus, um sich zu unterhalten, oder auf den Marktplatz zum Handeln.(118)
In Presseerklärungen hieß es noch, Zuschauer kämen "miteinander in Kontakt - ohne Moderation durch den Sender oder die Künstler von Van Gogh TV". "Auf der Suche nach Unterhaltung gibt es nichts Unterhaltenderes, als jemanden zu treffen, der auch auf der Suche nach Unterhaltung ist."(119)
"Faszinierend war vor allem, so bemerkte ein Kritiker, die dabei ablaufende 'permanente Kommunikationskatastrophe'. Mutterseelenallein stehen die Menschen, vorwiegend natürlich Kids, im elektronischen Raum und wissen nicht, was sie abgesehen von ihrer
Existenzbezeugung dort sollen."(120) "Karel Dudesek, einer der Initiatoren der 'Piazza Virtuale', meinte sogar, daß die Anrufer überhaupt nicht das Bedürfnis hätten, sich mitzuteilen; die ganze westliche Medientheorie mit ihren Phantasien vom mitteilungsgierigen Zuschauer sei jedenfalls 'alles Scheiße'."(121)
So griffen die Künstler der Gruppe immer häufiger animierend ein, versuchten mit Themenvorschlägen Gespräche in Gang zu bringen, die über das "Ist da jemand? - Ja! - Wer denn?" - Niveau hinausgingen. Die "professionelle"
Moderation machte die Sache aber noch "hilfloser und paradoxer [...], weil dadurch der
gewohnte Standard an Perfektion unterschritten wurde."(122)
Die Lehren, die man u.a. bei PONTON(123) aus dem Projekt "Piazza Virtuale" zog, waren in der Sendung "SWF 3 Nachtfieber" zu sehen. Diese Sendung war eine Gemeinschaftsproduktion von SWF 3 (Radio), Südwest 3 (Fernsehen) und PONTON (Computer und "interaktive Erfahrungen"). Die Piazza wurde zu einer Wohnung, in der eine Party gefeiert wurde, an der nicht nur reale Studiogäste, sondern auch virtuelle Gäste teilnehmen konnten, die über ein Audiotextsystem per Telefon und per
Computer über das Internet oder eine eigene Mailbox in jeden Raum der Wohnung gelangen konnten. Diese Chats (sowohl am Telefon als auch am Computer) wurden moderiert, einmal um die "Kommunikationskatastrophe" zu vermeiden und zum anderen, um eine Eingriffsmöglichkeit (Zensurmöglichkeit) zu haben, damit die Kontrolle über das, was über die Sender geht, gewahrt bleibt. (Eine Denkweise, die allein schon aus juristischen Gründen nicht nur öffentlich-rechtliche Anstalten zeigen.) Im Flur standen außerdem zwei Faxgeräte - eines zum Anfaxen und eines für die "realen" Partygäste zum Zurückfaxen. (Wobei die Faxe auch
parallel ins Internet geleitet wurden.)
Das Konzept der Sendung bestand darin, mit den vorhandenen Medien eine "multimediale, interaktive" Sendung zu gestalten. Auf eine Grundstruktur wollten die Macher und Macherinnen dieser Sendung, aus den Erfahrungen der "Piazza Virtuale" lernend, nicht verzichten. Manches war vorgegeben, manches stand zur Auswahl, (hier kam dann wieder TED zum Einsatz, diesmal unter der Bezeichnung "Zählwerk") und die Möglichkeiten zur Interaktion waren von Anfang an recht klar umrissen und setzten sich deutlich von der "großen Freiheit" der "Piazza Virtuale" ab. Dies wurde jedoch nur von wenigen (virtuellen) Gästen und Zuschauern, bzw. Zuhörern als störend empfunden. Auf mehr Kritik stieß die beschränkte Zugangsmöglichkeit zur Sendung. Pro Raum gleichzeitig jeweils vier Computer- und
Telefonbesucher waren zwar mehr als in allen vorherigen Sendungen, aber immer noch ein Flaschenhals, der es nur dem kleinsten Teil der möglichen virtuellen Gäste ermöglichte, bis in die Sendung vorzudringen.(124)
Nach den drei Pilotsendungen wurde die Sendung eingestellt. Die Kosten für eine
in größerem Maß interaktive Sendung waren der ARD wohl zu hoch, nur um die
"Nachtlücke" zu schließen.(125)
5.3. Interaktivität und Fernsehen - ein
Widerspruch?
Die Forderung nach einer Öffnung der Massenmedien für die Allgemeinheit ist,
salopp formuliert, ein alter Hut. Dabei ist aber zu sehen, daß diese Forderung zumeist lediglich eine Kritik an dem etablierten System darstellte, ohne die Möglichkeiten von bestehenden Alternativen kreativ zu nutzen.
Ein Beispiel: Bertolt Brecht forderte 1932 die Öffnung des damals modernsten Mediums Radio für die Massen. Es sollte der allgemeinen Kommunikation zugänglich gemacht werden.(126) Eine breitere Nutzung des bestehenden Amateurfunks (bei dem das Konzept, daß der Empfänger auch gleichzeitig Sender ist, ja schon verwirklicht war) wurde weder propagiert, noch umgesetzt. Ein anderes moderneres Beispiel sind die Offenen Kanäle, die die Möglichkeit, Fernsehen oder Rundfunk selbst zu gestalten, anbieten und ebenfalls auf wenig Resonanz stoßen, obwohl hier die Themen behandelt werden könnten, die von den professionellen
Veranstaltern vernachlässigt werden, obwohl sie für die - in die Zuschauerrolle gedrängten - Menschen interessant sind.
Ein Erklärungsansatz, warum die Medientechnik dort, wo sie der Allgemeinheit offen steht, nicht in großem Umfang genutzt wird, ist, daß die vom Medium gewohnte Professionalität einer Öffnung entgegensteht. Dieser Erklärungsansatz läßt sich in zwei Richtungen unterteilen: Einmal weiß die Mehrheit der Menschen sicher nicht viel darüber, wie Fernsehen gemacht wird und läßt sich von der (vermeintlich) komplizierten Technik abschrecken (man könnte dies als mangelndes Selbstvertrauen bezeichnen). Zum anderen könnte eben diese mangelnde Professionalität, die im Programm von Offenen Kanälen oftmals zu sehen ist,
sowie die fehlende Struktur (keine Programmgliederung und oftmals auch keine Programmankündigung, was nicht "zuschauerfreundlich" ist) die Menschen davon abhalten, aktiv zu werden. (Nach dem Motto: "Das ist doch kein Fernsehen, und außerdem sieht das ja sowieso niemand.")
Ein ganz anderer möglicher Erklärungsansatz ist, daß die Medientheorie mit der Vorstellung vom aktiven Zuschauer wirklich an der Realität vorbeigeht und dieser
vielmehr vom Fernsehen unterhalten werden will - natürlich seinen Wünschen entsprechend. "Wer den Apparat einschaltet, will nicht informiert werden (...), sondern will fernsehen."(127) "Das Verlangen, fernzusehen, ist eines, das sich mit dem Informationsbedürfnis vorzüglich tarnen läßt. Wer fernsieht, will sich unterhalten - er will Unterhaltung wie sie nur das Fernsehen ermöglicht. Er will schauen und gleichzeitig Projektionsfläche sein. Er will an Ereignissen teilhaben, und er will sehen, wie sich jedes Ereignis auflöst und in ein anderes hinübergleitet, weil das Leben immer
weitergeht."(128)
Beide Erklärungsansätze ließen sich wie folgt zusammenfassen: Fernsehen ist ein Konsummedium, von dem der Zuschauer in erster Linie Professionalität und Unterhaltung fordert. Eine mehr oder weniger starke Einbindung des Zuschauers ist
möglich. Hier entstehen durch neue Techniken neue Möglichkeiten, die sicher auch umgesetzt werden (wie dies bei Telefon und Fax auch schon der Fall ist). Da "kommunikative Partizipation" jedoch auf Kommunikation beruht, bedarf sie - zumindest im journalistischen Bereich - jeweils eines Gesprächspartners, eben auch auf der Seite des Senders. Die neuen technischen Möglichkeiten werden dabei nichts daran ändern, daß Kommunikation immer nur mit einer äußerst begrenzten Zahl von Gesprächsteilnehmern möglich ist. Die neuen Techniken werden im Fernsehbereich also neue Kommunikationswege bringen, ohne an der Kommunikation selbst wesentliches zu ändern, ebenso wie Telefon und Fax im Bereich der politikbezogenen Kommunikation im Fernsehen keine nennenswerten Fortschritte gebracht haben. Größere Chancen bestehen m.E. im Unterhaltungs- und dort v.a. im spielerischen Bereich. Individuelle Interaktion scheint im spielerischen Bereich innerhalb der programmierten Spielabläufe mit mehreren, vielleicht sogar vielen
Kandidaten gegen eine Maschine oder gegeneinander möglich. Interaktivität wird aber immer ihre engen Grenzen finden, sobald eine Maschine als Moderator, Schiedsrichter o.ä. nicht in Frage kommt.
Neben dem Spielbereich scheinen also lediglich rudimentär interaktive Anwendungen, vor
allem aus fernsehfremden Bereichen vorstellbar. Diese existieren heute zumeist schon und werden nur auf den Fernsehbildschirm verlagert oder übertragen werden (Teleshopping als Fernsehvariante des Versandhandels oder Video on Demand - auf das in Kapitel 6.3. "Pay-TV" noch einzugehen sein wird - als Fernsehvariante der Videothek etc.).
Der Ausdruck "interaktives Fernsehen" ist ebenso wie die meisten anderen Wortkombinationen und Metaphern, die in der Diskussion um die "digitale Zukunft" gebraucht werden, falsch und irreführend. Er bezieht sich v.a. auf das "Multimedia"-Endgerät, das beschränkt "interaktiv" gestaltet werden soll(129), und hat mit dem eigentlichen System Fernsehen nichts oder nicht viel zu tun. Es werden zwar von Zeit zu Zeit Stichworte in die Diskussion eingeworfen, die sich auf das eigentliche Fernsehen beziehen, doch handelt es sich dabei zumeist um die Nutzung von anderen Medien für eine Zuschauerbeteiligung, wobei ihre Umsetzung aus wirtschaftlichen Gründen eher unwahrscheinlich ist (so z.B. der Redakteur mit dem - immer noch eine äußerst begrenzte Zahl von Zuschauern - via Computer über die Sendung diskutieren kann oder Nachrichten mit Symbolen für Hintergrundberichte, die angeklickt werden können(130)).